Reportage „Dann seid ihr nicht mehr diese vergessenen Männer und Frauen, über die man in Berlin lacht“: Zu Besuch bei einem Stammtisch der AfD in Neustrelitz mit Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der Rechten für die Europawahl 2024


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Ausgabe 40/2023

Nach der Veranstaltung zücken junge Männer in Neustrelitz ein Exemplar von Maximilian Krahs Buch „Politik von rechts“ zum Signieren und posieren für Selfies mit ihm.

Nach der Veranstaltung zücken junge Männer in Neustrelitz ein Exemplar von Maximilian Krahs Buch „Politik von rechts“ zum Signieren und posieren für Selfies mit ihm.

An der Ortseinfahrt nach Neustrelitz hängen blaue Plakate an Laternen: „Wir vor Ort“ heißt die Stammtischreihe der AfD. Auf dem Plakat sind die Gäste für heute Abend zu sehen, klein an den Rändern zwei Abgeordnete des Landtags Mecklenburg-Vorpommerns, groß in der Mitte: der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah.

In Janas Bierkeller, inmitten einer Plattenbausiedlung, werden lange vor Beginn um 19 Uhr Stühle hereingetragen. Die schönen mit Kunstlederbezug sind bald besetzt, jetzt müssen alte Holzstühle aushelfen. Enrico Schult, Mitte 40, einer der beiden Landtagsabgeordneten, ist an diesem Abend stets freundlich und lächelt immer, auch wenn niemand mit ihm spricht. Er hat hier das Direktmandat geholt, g

elt immer, auch wenn niemand mit ihm spricht. Er hat hier das Direktmandat geholt, geht grüßend durch die Stuhlreihen, bis er nicht mehr durchkommt. Dann, um 19 Uhr, als die Luft schon stickig ist und viele Biergläser bereits halb leer sind, greift Schult zum Mikrofon.Nach Angela Merkels WortenWas er abliefert, reißt niemanden vom Hocker, aber widersprechen muss auch niemand. Er wolle Politik für die Bürger machen, die anderen Parteien schafften das nicht mehr, die AfD sei wie die CDU vor 25 Jahren. Eingetreten ist er 2015. Als Angela Merkel meinte, „Wir schaffen das“, habe er zu seiner Frau gesagt, dass sich etwas ändern müsse. Vor zwei Jahren zog er in den Landtag ein, dabei habe er sich das Politikersein ja selber nie vorstellen können. Schult bekommt pflichtbewussten Applaus.In der ersten Fragerunde des Bürgerdialogs meldet sich ein Gast zu Wort. Wie Schult zu „Chemtrails“ stehe, möchte der ältere Herr wissen. Schult windet sich. Es sei ja nicht sein Fachgebiet. „Ich habe keine Ahnung. Ich persönlich glaube nicht daran. Aber ich habe davon gehört.“ Ein paar Gäste grinsen, wenige verdrehen die Augen, der Fragesteller setzt sich hin und hört weiter ruhig zu.CDU, FDP und Robert HabeckKritik gibt es an diesem Abend kaum, und wenn, dann von rechts. Ein Mann, der Mitte 30 sein dürfte, sitzt die meiste Zeit mit durchgedrücktem Rücken regungslos am Tisch, hört konzentriert zu und lässt sich nur durch hektisches Kaugummikauen anmerken, dass ihm etwas aufstößt. Mehrmals an diesem Abend streckt er seinen bis zu den Fingern tätowierten Arm in die Höhe.Erste Frage an Schult: Warum er darauf bestehe, dass die AfD bürgerlich-konservativ sei? „Wäre es nicht an der Zeit, endlich zu sagen, dass die AfD eine rechte Partei ist?“ Applaus. „Bürgerlich-konservativ ist die CDU, ist die FDP, bürgerlich ist auch ein Herr Habeck. Davon können wir uns doch nur abgrenzen, wenn wir sagen, wir sind nicht bürgerlich-konservativ, sondern wir sind rechts. Und wir stehen dazu.“„Aber Ricarda Lang lacht auch über uns“Auftritt Maximilian Krah. Er ist nicht nur Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, sondern hat auch gerade das Buch Politik von rechts geschrieben. Mit Einerseits-Andererseits-Antworten kann er nichts anfangen. Krah weiß, wo die Partei steht und in welche Richtung sie sich bewegt. Seine Rede ist gespickt von Evergreens, die er in den vergangenen Monaten oft zum Besten gegeben hat. Die AfD sei die spannendste Rechtspartei Europas. Wäre man wie die CDU 1990, dann wäre man irgendwann auch die CDU 2015. Mit der CDU 2023 will er erst recht nicht koalieren. Er will, dass sie verschwindet.Placeholder image-1Enrico Schult klatscht, der tätowierte Mittdreißiger mit geradem Rücken klatscht, genau wie der ältere Herr, der sich für Chemtrails interessiert. Es wird viel gelacht während Krahs Rede. Etwa als er fragt, wie die Dicke von den Grünen noch mal heißt. „Wir lachen über Ricarda Lang“, sagt Krah und wird nachdenklich. „Aber Ricarda Lang lacht auch über uns.“ Das kommt an.Der Rentner, der nach den Chemtrails gefragt hatte, trägt einen dicken Schnurrbart, eine Goldkette, die Knöpfe seines Poloshirts sind geöffnet. Er bleibt an diesem Abend lange. Vor und nach den Reden geht er offen auf die Menschen zu, die er kennt, und dann auch auf die, die er nicht kennt. Er lacht und applaudiert viel während Krahs Rede. Besonders, wenn dieser von der Leidenschaft und Liebe spricht, die in jedem hier im Bierkeller stecke: „Wir kennen uns. Wir stehen zueinander. Das macht uns besonders.“In der ersten Reihe sitzen zwei Handwerker. Ein Tiefbauer mit Cap und ein Bauunternehmer, der noch seine hellbraune Trenkercordweste trägt. Sie hören konzentriert zu, werfen ab und zu etwas ein, gerade wenn es um Heizungen geht. Sie seien keine AfD-Mitglieder und fänden auch nicht alles richtig, was hier gesagt wird. Im Prinzip aber finden sie die AfD gut. Zu radikal? Nein, das sei die Partei nicht. Für sie steht die AfD in der Mitte Deutschlands.Krieg, Inflation, Migration und GenderKrahs Rede ist ein Abriss von Grundsätzlichem. Die Ampel-Regierung stehe für Krieg, Inflation, Masseneinwanderung und Genderwahn. Wobei er mit dem letzten Punkt hier am wenigsten punktet. Wenn Krah sagt, dass es nur zwei Geschlechter gebe, wird zwar auch applaudiert, aber verhaltener. Es gibt nur eine Gruppe, bei der das Thema zuverlässig ankommt: die jungen Männer. Sie machen nach der Veranstaltung Selfies mit Krah, manche zücken ein Exemplar seines Buchs und lassen es signieren.Einer von ihnen will sich im Zweiergespräch als heimlicher Linker aus Hamburg zu erkennen geben. Er beobachte hier nur die Feinde, sagt Wörter wie „Plenum“ und „soziale Frage“. Er redet davon, dass unter seinen „Genossen“ alle Krah lesen würden und Leute aus der Antifa massenhaft zur AfD überliefen. Auf die Frage, aus welcher linksradikalen Strömung er denn komme, reagiert er nervös. Bei Nachfragen, in welchen linken Zentren in Hamburg er verkehre, fängt er an zu stammeln. Auch auf die Frage, warum der Marktliberalismus, den Krah abseits der Reden politisch vertritt, für Linke so attraktiv sein soll, weiß er keine Antwort.Im Publikum sitzt der Neonazi Christian WorchZwei Stuhlreihen hinter ihm sitzt der Vorsitzende einer Konkurrenzpartei: Christian Worch. Er ist der wohl am längsten aktive Neonazi-Führer Deutschlands. Viele seiner Organisationen wurden verboten, etliche waren gewalttätig. Heute ist er Chef der Partei Die Rechte, die er 2012 mitgegründet hat. Worch klatscht bei Krahs Rede an fast jeder Stelle. Als der sagt, man könne stolz auf die Großväter sein, applaudiert Worch, der als Jugendlicher mit Hitlerbild posierte. Auch, als Krah von seinen acht Kindern erzählt und wenn er vom „Bevölkerungsaustausch“ spricht.Placeholder image-2Alte und junge Neonazis verbindet mit den Handwerkern, den Unternehmern, dem Rentner heute Abend vieles: der Hass auf die Grünen, die Ablehnung von Migration, vielleicht auch die „Transformationsmüdigkeit“, wie es im Soziologendeutsch heißt. Aber es ist auch Krah, der es mehr als alle anderen schafft, Schneisen zu schlagen. Er springt galant vom schädlichen Wolf zur gefährlichen Inflation, von 52 Geschlechtern zur Masseneinwanderung, von der Familie zu Friedensverhandlungen.Was Krah aus Bertolt Brechts „Kinderhymne“ zitiertViele bescheinigen Krah an diesem Abend, ein toller Redner zu sein. Er hat ein Gespür für das Publikum, das habituell weit von ihm entfernt ist. Das funktioniert vor allem, wenn er über das Volk predigt: „Wenn ihr euch klar macht, dass ihr Teil einer großen Geschichtserzählung seid, dann werdet ihr eben mehr sein als nur klein und vereinzelt. Dann seid ihr nicht mehr diese vergessenen Männer und Frauen, über die man in Berlin lacht.“ Andächtiges Schweigen. „Wenn wir Teil einer großen Erzählung sind, dann sind wir stark. Das ist die Geschichte des Volkes. Und deshalb greift man uns an, weil wir vom Volk reden.“ Dass manche zwar zur Bevölkerung, aber nicht zu seinem Volk gehören, und sein Deutschland das „Land der ethnisch Deutschen“ ist, wie er in seinem Buch schreibt, muss er hier nicht betonen.Die Message kommt an: Wer zum Volk gehört, um den wird sich gekümmert. Egal ob klug oder dumm, ob im Dreiteiler oder im Jogginganzug, ob Handwerker oder arbeitslos, ob sportlich oder gebrechlich, ob mitten im Leben oder am Rand der Gesellschaft, ob gemäßigt-konservativ oder Nazi, ob auf der Überholspur oder abgehängt, ob reich oder arm, im Volk ist für sie alle Platz.Am Ende zitiert Krah die erste Strophe aus Bertolt Brechts Kinderhymne. „Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Dass ein gutes Deutschland blühe“. Mit der vierten Zeile zielte Brecht gegen das national-chauvinistische Denken: „Wie ein andres gutes Land“. Krah lässt sie weg.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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