Von Dagmar Henn
Man könnte es niedlich finden, wenn es nicht so schmerzhaft peinlich wäre. Plötzlich wird selbst in der Tagesschau über die Wohnungsfrage berichtet, als wäre das ein neues Problem. Und plötzlich taucht auch ein anderes Argument auf – sogar die Tagesschau zitiert den Vorsitzenden der IG Bau mit den Sätzen:
„Wir haben Fachkräftemangel und brauchen Arbeitskräfte. Aber die kommen nur, wenn sie eine Wohnung finden, die sie sich auch leisten können. Und daran scheitert im Moment alles.“
Bis auf das „im Moment“ ist die Aussage richtig. Denn auch dieser Punkt war schon seit langem bekannt. Es ist bald zehn Jahre her, da wurden in München schon ganze Klinikabteilungen geschlossen, weil wegen der hohen Mieten keine Krankenschwestern zu finden waren, oder Kinderkrippen verzögert eröffnet wurden, weil das bei den Erzieherinnen nicht anders aussah. Oder reden wir einmal über Busfahrer, die mittlerweile in so gut wie allen deutschen Großstädten fehlen. Das liegt doch nicht daran, dass niemand mehr Bus fahren würde, sondern daran, dass für das Leben in der Großstadt das Einkommen zu schlecht ist.
Irgendwie wurde diese Tatsache nie zu einem Skandal, sondern simmerte unbemerkt vor sich hin. Nicht einmal Merkels Bevölkerungsaufstockung führte dazu, dass die Aufgabe, das Wohnungsproblem zu lösen, als irgend dringlich erachtet wurde.
Anlass dafür, dass das Thema auftauchte, war jetzt der Wohnungsbautag, eine seit 2008 stattfindende Veranstaltung, die von einer ganzen Reihe von Verbänden der Immobilienwirtschaft, aber auch dem Mieterbund und der IG Bau, betrieben wird. Allein die Tatsache, dass eine derartige Veranstaltung eingeführt wurde, zeigt bereits, dass das gesamte Thema um Aufmerksamkeit erst buhlen muss.
Die Bauwirtschaft, so eine der viel zitierten Aussagen, sei gesamtwirtschaftlich so wichtig wie die Automobilindustrie, schließlich würden bei einer Wertschöpfung von 537 Milliarden Euro wie im Jahr 2023 141 Milliarden Euro an Steuern in den Haushalt fließen. Jetzt aber drohe der Stillstand.
Eine gewaltige Rolle bei der geringen Aufmerksamkeit für den Zustand des Wohnungsbaus spielt die Tatsache, dass schon seit vielen Jahren die tatsächlichen Bauarbeiten überwiegend über Sub-Sub-Unternehmen verrichtet werden, und die Bauarbeiter selbst ebenso überwiegend nur für diesen jeweiligen Bau angeworben werden und bestenfalls noch die Vorarbeiter Deutsche sind oder auch nur in Deutschland leben. Deshalb schlägt sich auch die Entwicklung im Bau kaum mehr in der Arbeitslosenstatistik nieder (die noch vor wenigen Jahrzehnten im Winter immer anschwoll, weil dann aus Bauarbeitern Arbeitslose wurden). Zu Beginn der 1980er begann die große Welle der Privatisierungen, eingeleitet durch die Zerschlagung der Neuen Heimat; die Abschaffung der Gemeinnützigkeit kam dazu. Seitdem fällt die Zahl der Sozialwohnungen immer weiter.
Die Wenigsten wissen noch, dass auch in der Bundesrepublik die letzten Gebiete, in denen die Miete gesetzlich vorgeschrieben war, erst 1975 gefallen sind. Seit 1914 bis in die 1960er war die Höhe der Miete gesetzlich geregelt; die große Bauphase, in der im Westen ganze Stadtviertel aus dem Boden gestampft wurden, ereignete sich also überwiegend unter diesen Bedingungen. Seit die Mieten freigegeben wurden, steigen sie unaufhörlich; was sich aber in Bezug auf den Wohnungsbau besonders unangenehm bemerkbar macht, ist, dass die Bodenpreise noch deutlich stärker stiegen.
Das führte schon vor einigen Jahren zu der verrückten Situation, dass der Bodenpreisanteil bei einer Neubauwohnung in den Metropolen über den Baukosten liegen konnte. Es ist die Höhe der Bodenpreise, die es finanziell fast unmöglich macht, dem Wohnungsmangel abzuhelfen – das Forderungspapier der Wohnungswirtschaft an die Bundesregierung, das zum Wohnungsbautag vorgelegt wurde, verlangt eine Förderung von 15 Milliarden Euro, die ganze 100.000 Sozialwohnungen ergeben soll; das ist ein Preis pro Wohnung von 150.000 Euro. Die letzten Zahlen des Statistischen Bundesamts, von 2021, lauteten auf durchschnittliche Baukosten von 2.034 Euro pro Quadratmeter; das ist allerdings noch vor den Preissteigerungen dank der Russlandsanktionen, die die Kosten bei vielen Materialien in die Höhe trieben. Anders gesagt, gerade in den Gebieten mit dem größten Mangel ist das nur ein Teil der Baukosten.
Es ist also klar, dass irgendjemand auch mit der geforderten Förderung noch weiteres Geld investieren muss, und gerade in den Großstädten nicht gerade wenig. Der soziale Wohnungsbau der vergangenen Jahrzehnte erfolgte nur noch mit einer befristeten Mietbegrenzung, sprich, nach 20, 25 Jahren entfiel die Sozialbindung. Das ist einer der Gründe, warum es nur noch eine Million dieser Wohnungen gibt. Auf eine dauerhafte Bindung würden sich bestenfalls Genossenschaften einlassen, oder öffentliche Wohnungsbauunternehmen, also die Reste dessen, was einst als „gemeinnützige Wohnungswirtschaft“ firmierte.
Übrigens – was der Wohnungsbautag fordert, ist eine Förderung der Wohnung; einer der Schritte der neoliberalen Zurichtung der Politik war es, den Schwerpunkt auf eine Förderung der Mieten zu legen. Das Ergebnis war ein Ausbau des Wohngelds, mit einem hyperbürokratischen Verfahren. Eine Bürokratie, die in diesem Ausmaß nicht anfällt, wenn das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ausreicht. Außerdem sorgte diese Umstellung dafür, dass die verwendeten öffentlichen Mittel nicht mehr dazu beitrugen, den Anstieg der Mieten zu bremsen, wie es der Fall gewesen wäre, wären die gleichen Gelder in Sozialwohnungen geflossen.
Allerdings verteilt sich die Nachfrage nach Wohnungen ungleichmäßig, und eine Wohnung in Sachsen nützt nichts, um in München Krankenschwestern zu finden. Eine Karte über die Mieten zeigt ziemlich deutlich die Gegenden an, in denen der Mangel am größten ist; genau da sind aber auch die Bodenpreise die höchsten.
Nicht zu vergessen – die energetischen Vorgaben für Neubauten sorgen für eine weitere Verteuerung. Aus diesem Grund ist eine weitere Forderung des Wohnungsbautages, einen vereinfachten Standard zuzulassen. Ein Drittel der Baukosten soll auf diese Weise eingespart werden können. Nicht einmal das ist einfach, es erfordert eine Gesetzesänderung, und man kann jetzt schon die heftigen Proteste der Klimabewegten erahnen. Aber so, wie die Vorgaben derzeit lauten, kommt in Summe eben eine Miete heraus, die die entstandenen Wohnungen unvermietbar macht.
Ein weiterer Grund für den Einbruch im Wohnungsbau ist das allseits beliebte Heizgesetz. Das, wie vorherzusehen war, gravierende Folgen hat, und zwar in ganz anderen Bereichen – ganz reguläre Sanierungen werden zurückgestellt, nicht nur von großen Unternehmen, auch von Hausbesitzern, weil die möglichen Folgen des Heizungsumbaus als großes Risiko erscheinen. Und es werden für derartige Arbeiten auch keine Kredite mehr aufgenommen. Außerdem sind die Immobilienpreise immer noch in einer Abwärtsbewegung, was Kredite schon wegen der Bewertungsprobleme schwierig macht; ganz abgesehen davon, dass die Meisten, die in Deutschland in einer eigenen Wohnung wohnen, schon älter sind, und es oberhalb der Sechzig ohnehin schwierig wird mit den Krediten.
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe vom November vergangenen Jahres waren in Deutschland mindestens 607.000 Menschen wohnungslos. Die letzten statistischen Angaben darüber, wie viele von ihnen in Notunterkünften hausen, stammen aus dem Jahr 2022 und sprechen von 178.000. 9,3 Millionen Menschen in Deutschland wohnen in überbelegten Wohnungen; das heißt, für jede erwachsene Person oder für je zwei Kinder stehen nicht mindestens 12 Quadratmeter zur Verfügung. Angesichts dieser Zahlen ist das Fehlen von 800.000 Wohnungen, das der Wohnungsbautag konstatiert, noch eine sehr vorsichtige Schätzung.
Den letzten Höhepunkt hatte der Wohnungsbau in Deutschland im Jahr 1995 mit 600.000 fertiggestellten Wohnungen. Selbst wenn sich die Erwartungen der Bundesregierung erfüllen würden (was sie nicht tun), sind 300.000 Wohnungen pro Jahr weniger als die Hälfte.
Übrigens bedeutet dieser Höhepunkt der Bautätigkeit auch, dass das Heizgesetz im ersten Jahr nicht nur ein Dreißigstel des Wohnungsbestands treffen wird, sondern weit mehr, weil die Bautätigkeit in den letzten dreißig Jahren schlicht deutlich niedriger war. Der Wohnungsbautag kommt auf ein altes Rezept zurück, um dem Problem schneller abhelfen zu können. Modulares Bauen.
Das ist eine Technik, die in der DDR weitverbreitet angewandt und völlig zu Unrecht als „Platte“ verunglimpft wurde. Wenn man sich fragt, warum der Wiederaufbau von Mariupol so schnell geht, findet man genau da die Lösung. Aber die Erhaltung einer Technik, die vor allem die Bevölkerung schnell und günstig mit gutem Wohnraum versorgen sollte, lag nicht im Interesse eines Marktes, auf dem die Mieten vor allem steigen sollten. Die veränderte Zusammensetzung der Bauarbeiterschaft hatte auch nach 1990 sehr schnell die Folge, dass diese Technik nicht mehr hätte eingesetzt werden können, weil sie eine sehr hohe Ausbildung und Arbeitspräzision voraussetzt. Wollte man sie heute wiederbeleben, müsste man erst die erforderlichen Arbeitskräfte schulen.
Was auf dem Wohnungsbautag bezüglich der Wirkung auf den Arbeitsmarkt angemerkt wurde, war genau der Grund, warum auch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik darauf geachtet wurde, Wohnungen bezahlbar zu halten – wo es keine bezahlbaren Wohnungen gibt, kann man auch keine Industrie aufbauen. Die Interessen derjenigen, die Wohnungen vermieten oder aus Immobilien Gewinn ziehen wollen, sind nun einmal im Widerspruch zu den Interessen auch der produzierenden Industrie, die nur dann Arbeitskräfte findet, wenn diese auch ein Dach über dem Kopf finden. Es sei „nur eine Frage der Zeit, bis der Mangel an Wohnraum die wirtschaftliche Dynamik begrenzt“, formuliert das die Studie „Wohnungsbau 2024 in Deutschland“, die zum Wohnungsbautag vorgestellt wurde.
Diese Widersprüche unter Kontrolle zu halten bzw. zu verhindern, dass die Interessen einer kleinen Untergruppe der Kapitaleigner den ganzen Rest der Ökonomie strangulieren, das wäre Aufgabe der Politik. Eine Aufgabe, die aber mit Beginn der neoliberalen Ära preisgegeben wurde, und das Ergebnis ist eine Spirale nach unten, die dank der Sanktionspolitik nun mit erhöhter Geschwindigkeit durchlaufen wird.
Selbst wenn ihm mittlerweile jemand erklärt hat, dass die Baubranche zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, die weitergehenden Zusammenhänge sind Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck weiterhin unklar. Die Branche fürchtet, dass Arbeitskräfte, die jetzt verloren gehen, bei einer Erholung nicht zurückkehren, und damit wird das Problem (siehe „modulares Bauen“) noch untertrieben. Habeck aber erklärte, eine Zurückhaltung bei Investitionen sei schließlich gewollt gewesen, als die EZB die Leitzinsen erhöhte, und: „Die Leidtragenden sind Sie. Aber da müssen wir durch.“ Und die Bundesregierung hat bereits signalisiert, dass sie ihre Mittel für wichtigere Dinge braucht, Rüstung und die Ukraine beispielsweise.
Das Schlimme ist nur, dass selbst die Forderungen des Wohnungsbautages noch nicht genügten, um die Wohnungsfrage in Deutschland tatsächlich zu lösen. Sie genügen gerade dazu, die Wohnungsbaukapazitäten in der jetzigen Größenordnung zu erhalten. Eine wirkliche Lösung bedürfte massiver öffentlicher Eingriffe, einer Entmarktung des Wohnungsmarkts; also nicht privates, sondern öffentliches oder gemeinnütziges Bauen und eine Rückkehr in einen Zustand, in dem mehr als die Hälfte der Mietwohnungen nicht einem Gewinninteresse dienen (Österreich hat lange vorgemacht, wie so etwas geht). Und, das darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, eine Rücknahme des Heizgesetzes. Aber beides ist in Deutschland derzeit nicht vorstellbar. Daran wird auch dieser Wohnungsbautag nichts ändern.
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