Trotz verzweifelter Versuche des Bundeskanzlers Olaf Scholz bei seinem China-Besuch hat die Volksrepublik kein Interesse an der Ukraine-Konferenz in der Schweiz. Dies ist bezeichnend für den Zustand der westlichen und vor allem deutschen Diplomatie. Die Bundesrepublik schreitet scheiternd voran in die außenpolitische Bedeutungslosigkeit. Von Artur Leier.
Beim Besuch von Olaf Scholz in China war die Ukraine von deutscher Seite wieder das dominierende Thema. Auch hier wurde, diametral zu deutschen Interessen, wieder einseitig Position für die Ukraine bezogen und mit scharfen Verurteilungen gegenüber Russland eine hysterische Rhetorik verwendet, welche die wenigen verbliebenen Brücken zwischen Deutschland und Russland weiter abbrennt und die Bundesrepublik deutlich im Lager der selbsterklärten Feinde Russlands positioniert.
China bleibt bei seiner Außenpolitik
Der Bundeskanzler stellte selbst fest: „Chinas Wort hat Gewicht in Russland.“ Auch Deutschlands Wort hatte früher Gewicht in Russland. Das Auftreten von Scholz in China demonstrierte wieder, warum Berlin kaum noch Einfluss in Moskau hat. Innerhalb weniger Jahre fiel das Ansehen Deutschlands, übrigens in der ganzen Welt, von dem eines ehrlichen Vermittlers auf den Status eines aggressiven Agitators für ein korruptes Regime, welches nichts mit Deutschland, der EU oder der NATO zu tun hat – wenn man sich die reale Situation in Kiew anschaut, zudem auch nichts mit Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Es ist für Berlin trotzdem so wichtig, diese nicht vorhandenen Werte in der Ukraine zu verteidigen, dass sogar die eigene Wirtschaft und Energiesicherheit dafür gesprengt werden.
Durch diesen weitestgehenden Bedeutungsverlust Deutschlands blieb dem Bundeskanzler deshalb nur die verzweifelte und vage Bitte an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, „auf Russland einzuwirken“, und der Versuch, China von einer Teilnahme bei der Ukraine-Konferenz zu überzeugen, die im Juni in der Schweiz stattfindet. Dazu sahen wir auf dem X-Konto von Olaf Scholz und in der deutschen Presse dann Versuche, die Gespräche so darzustellen, als würde sich China eine Teilnahme bei dieser Konferenz überlegen und diese zumindest „unterstützen“.
Dies basierte allerdings auf rhetorischen Tricks und kleinen Manipulationen, bei denen sich an jedes Wort der chinesischen Seite geklammert wurde wie an einen lebensrettenden Strohhalm. Da die Chinesen eben noch Diplomatie verstehen und kein hartes „Nein“ äußerten, wurde daraus in Deutschland teilweise ein „Vielleicht“ gezaubert (so im Tagesspiegel vom 16. April). In Wahrheit waren die Aussagen, bei allen diplomatischen Gepflogenheiten, klar genug.
Der chinesische Präsident sagte, China fördere „die Friedensgespräche auf seine eigene Weise“ und unterstütze nur eine Friedenskonferenz, die von Russland und der Ukraine, also von beiden direkten Konfliktparteien akzeptiert werde. Da Russland zu der Konferenz im Juni nicht eingeladen ist und es dort absehbar wieder darum gehen wird, die antirussische Position des Westens zu wiederholen, wird es also keine Beteiligung Chinas geben.
Deutschland und die EU ohne eigene Außenpolitik
Man kann sagen, Xi Jinping und Olaf Scholz haben von verschiedenen Dingen gesprochen, weil sie Außenpolitik auf verschiedenen Ebenen betreiben. China betreibt eine souveräne Außenpolitik auf der höchsten Ebene von Geopolitik, ebenso Staaten wie Russland und die USA. Deutschland und auch die EU positionieren sich selbst eine Ebene darunter – als Erfüllungsgehilfen imperialistischer Interessen der USA und seines transnationalen Finanzkapitals. Deshalb konnte der Bundeskanzler sich in China zwar um bessere Bedingungen für deutsche Unternehmen bemühen, aber bei der Außenpolitik wurde er nicht als ernsthafter Gesprächspartner wahrgenommen.
Das war nicht immer so. Erst knapp 20 Jahre ist es her, da konnten sich ein Gerhard Schröder und Jacques Chirac zu einem klaren „Nein“ gegen den Irakkrieg verbünden, trotz allen Drucks aus England und vor allem den USA sowie nicht zuletzt auch von transatlantischen Medien, die Frankreich und Deutschland möglichst tief in diesen verbrecherischen Krieg hineinziehen wollten, der unter dem Vorwand von Massenvernichtungswaffen gestartet und in Wirklichkeit wegen Öl und strategischen Interessen im Nahen Osten geführt wurde.
Es stimmt also in gewisser Hinsicht, wenn einige Experten sagen, dass die EU eine eigene Außenpolitik entwickeln muss. Entscheidend ist aber, was damit gemeint ist, und da muss man genau hinschauen. Denn wenn es darum geht, die häufig erwähnte „Verantwortung“ zu übernehmen, dann ist Vorsicht geboten. Meist geht es dann darum, die imperialistische Politik des Westens in einer Region durchzusetzen, wenn die USA mit einer anderen Region beschäftigt sind.
Genau dies ist im Falle der Ukraine zu beobachten. Da die USA sich langsam aus der Ukraine zurückziehen, weil sie ihren Fokus auf China legen müssen, hört man aus Brüssel vermehrt, dass Europa nun die Ukraine unterstützen müsse. Allerdings ist das neoliberale Konstrukt EU nicht Europa, und die Bürokraten in Brüssel sprechen nicht für die Völker Europas. Von einer „eigenen“ Außenpolitik der EU braucht man also keine Verbesserung zu erwarten. Die Antwort liegt bei positiven Veränderungen auf Ebene der Nationalstaaten. Wenn Staaten wie Deutschland und Frankreich wieder anfangen, eine souveräne Außenpolitik zu betreiben, dann werden wieder eigene Interessen vertreten. Das „Nein“ zum Irakkrieg zeigt, dass dies möglich ist.
Dann können wir auch wieder ehrliche Friedensinitiativen aus Deutschland erwarten statt durchschaubarer Versuche eines deutschen Bundeskanzlers, einen Keil zwischen Peking und Moskau zu treiben. Dann werden auch deutsche Außenminister, ohne feministische oder maskulistische Außenpolitik, wieder auf Augenhöhe gesehen und behandelt, anstatt dem Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt zu schaden. Das bedeutet nicht, dass Volksinteressen dann immer oder auch nur meist vor Kapitalinteressen stehen werden, aber eine sachliche Realpolitik im nationalstaatlichen Interesse wäre bereits eine enorme Verbesserung.
Westliche Diplomatieverweigerung schadet prowestlichen Kreisen
Man muss konstatieren, dass die westliche Diplomatie vorrangig dazu beigetragen hat, die „Friedenspartei“ in politisch einflussreichen Kreisen Russlands zu schwächen. Ihre Grundüberzeugung, dass die Diplomatie siegreich sein muss und nicht das Militär, wurde immer weniger haltbar und entfernte sich zunehmend von der Realität einer aggressiven Einkreisung Russlands durch die NATO und US-Militärbasen.
Auch nach der Zuspitzung der ukrainischen Kriegsvorbereitungen gegen die Volksrepubliken des Donbass und dem folgenden russischen Einmarsch in die Ukraine gab es genug Möglichkeiten, schnell zum Frieden zurückzukehren. Tatsächlich gab es umgehend Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern in Weißrussland und dann große Fortschritte auf Vermittlung der Türkei. Vielleicht war dies die letzte Chance für die – durchaus prowestliche – Friedenspartei in Moskau, ihre Vorstellungen im Kreml durchzusetzen. Stattdessen folgte ein einseitiger Verhandlungsabbruch auf Wunsch des Westens, und mit jedem Kriegsmonat festigte sich auch bei dieser Friedenspartei die Einsicht, dass der Westen nur eine vollständige Niederlage und schlussendlich Vernichtung Russlands akzeptiert.
Dadurch wurde vor allem das Ansehen der großen westeuropäischen Staaten und damit auch der EU in Moskau nachhaltig geschädigt. Denn bei den USA ist man eine harte geopolitische Auseinandersetzung gewohnt, und beide Seiten haben sich im Kalten Krieg nichts geschenkt. Am Ende hat sich bei den Amerikanern aber oft ihr Business-Pragmatismus durchgesetzt, und es wurde ein Geschäft angeboten. Die Wahrnehmung gegenüber Westeuropa war aber eine andere, und einflussreiche Kräfte in Moskau sahen sich wie selbstverständlich als Teil Europas. Es ist kein Geheimnis, dass Putin selbst offen germanophil ist und gutes Deutsch spricht. Seine Rede im Bundestag von 2001 war ehrlicher Ausdruck seiner damaligen Haltung.
Nun ist prowestlich, proeuropäisch oder germanophil nicht das Gleiche, aber es gab in Russland selten einen so westorientierten Präsidenten wie Putin – deshalb auch die ständigen Versuche, eine Einigung zu finden, sowohl bei Treffen mit dem US-Präsidenten George Bush Jr. als auch mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und entsprechend groß war der Einfluss prowestlicher Kreise im Kreml. Der Westen hat es mit seiner Anti-Diplomatie geschafft, einen solchen Präsidenten zum Gegner und sogar Feind zu machen. Denn am Ende ist Putin Staatsmann und hat, bei allen subjektiven Sympathien, das objektive Interesse seines Volkes im Sinn.
Gerade dadurch konnten, ideologisch und innenpolitisch heterogene, antiwestliche Kreise in Moskau triumphieren und darauf hinweisen, dass sie es schon immer gesagt haben: Der Westen ist politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verrottet und selbst die vormals schöne Fassade ist weitestgehend abgebröckelt. Für Europa oder die EU kommt erschwerend hinzu, dass keine eigenständige Politik betrieben wird und eine direkte Abhängigkeit von den USA besteht. Deshalb müsse sich Russland bei seiner Bündnispolitik nach Osten und Süden orientieren. Das ist, durch westliche Diplomatieverweigerung und kurzsichtige Machtpolitik ohne Berücksichtigung der Langzeitfolgen, nun die dominante Denkweise in Moskau.
Diplomatie muss langfristig denken und die Geschichte kennen
Das alles geschieht vor dem Hintergrund katastrophaler Erfahrungen in den 1990er-Jahren. Der Westen hat damals, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, seine antirussische Politik nahtlos fortgesetzt und sogar zugespitzt. Die Herrschaft der Jelzin-Oligarchie wurde aktiv unterstützt, das Volksvermögen wurde geplündert und endete meist in westlichen Banken. Alles, was unter Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft vermarktet wurde, war in Realität das Gegenteil des Versprochenen.
Dies führte in der Bevölkerung zum nachhaltigen Misstrauen gegenüber liberalen Politikern sowie Ideen und zum Wunsch nach einer starken sichtbaren Hand, die für Ordnung sorgt, statt der unsichtbaren Hand des Marktes, die Chaos verursacht und das Land verkauft. Das Verhalten des Westens wurde so wahrgenommen, als ob die sowjetische Propaganda über westlichen Imperialismus noch untertrieben hat. Man erlebte bzw. überlebte einen Westen, der nur die vollständige Unterwerfung akzeptiert und nur die Sprache der Stärke versteht. Wie Hohn wirkt es da, wenn diese Zeit in der westlichen Bewertung und von Liberalen in Russland weiterhin positiv dargestellt wird. Auch deshalb ist die prowestliche Opposition innerhalb Russlands heute bedeutungslos und dient nur dazu, Bilder und „Hoffnungsträger“ für die westliche Propaganda zu erzeugen.
Wenn Wladimir Putin also jede Präsidentschaftswahl deutlich und immer deutlicher gewinnt und das Ergebnis umso höher ist, je stärker der Druck von außen wird, dann liegt dies an den Erfahrungen der russischen Bevölkerung in Vergangenheit und Gegenwart. Dazu gehört die lebendige Erinnerung an die 1990er-Jahre, vor allem aber die heutige, hysterisch-antirussische Politik des Westens. Wenn zudem die Bundesrepublik geschichtsvergessen wieder gegen Russland hetzt und deutsche Panzer in die Ukraine schickt, dann gehört dazu auch das historische Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Der Westen hat mit seiner Politik also nur erreicht, das russische Volk hinter Putin zu vereinen. Er hat ebenfalls dazu beigetragen, Russland und China zu strategischen Verbündeten zu machen.
Eine Ukraine-Konferenz in der Schweiz, zu der Russland nicht eingeladen ist, hat deshalb keine ehrliche Friedensabsicht. Sie überzeugt niemanden, der nicht schon überzeugt ist, und das sind faktisch nur direkt von den USA abhängige Regime des „kollektiven Westens“. Sie zeigt aber der russischen Bevölkerung wieder, dass nur die vollständige Niederlage und Unterwerfung angeboten wird. Das ist so kurzsichtig wie die Politik nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Damit wird nur die organische Opposition in Russland, von links bis rechts, nachhaltig und unnachgiebig gegen den Westen eingestellt. Die wahre Rechnung dafür kommt später, nach der Zeit von Wladimir Putin.
Einige werden sich dann nostalgisch an den germanophilen russischen Präsidenten erinnern. Russlandexperten und Historiker werden darauf hinweisen, dass der Westen um 2000 mit der Unterwerfung bzw. Vernichtung Russlands gescheitert ist, dies hätte einsehen müssen, und danach 30 Jahre Zeit hatte, um das Riesenreich zum Partner auf Augenhöhe zu machen. Die USA werden sich, als imperiales Zentrum hinter dem Ozean, noch länger als Machtfaktor behaupten können, auch wenn sie schon jetzt in einer gesellschaftlichen Dystopie leben. Die deindustrialisierte BRD wird diese Russlandpolitik aber am härtesten Treffen. Die deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen der Zukunft werden leise über die suizidale Außenpolitik dieser Zeit meckern, während Sie auf dem Lastenrad um ein Windrad fahren und nach Pfandflaschen sowie Brennmaterial suchen.
Titelbild: Shutterstock / Michael Derrer Fuchs