Es waren dramatische Augenblicke – der slowakische Premier Robert Fico wurde in der Nacht zu Donnerstag fünf Stunden lang von zwei Teams im Roosevelt-Krankenhaus von Banská Bystrica operiert. Wie Miriam Lapuníková, die Direktorin des Hospitals, bekanntgab, war es zunächst nicht möglich, die Blutungen in der Bauchhöhle zu stoppen. Mehrere Schüsse, die der Attentäter trotz der unmittelbaren Präsenz von fünf Leibwächtern aus einer sehr kleinen Entfernung abfeuern konnte, trafen Fico in den Bauch. Als dann am frühen Morgen ein erstes Bulletin ergab, dass Ficos Zustand stabilisiert sei, wurde jedoch darauf hingewiesen, dass es mehrere Tage, wenn nicht eine ganze Woche dauern könne, bis keine Lebensgefahr mehr bestehe.
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gefahr mehr bestehe. Das Land ist im Schockzustand, die Arbeit des Parlaments in Bratislava eingestellt, die dort vorgesehene Debatte über eine Neugründung des öffentlich-rechtlichen Hörfunks und Fernsehen (RTVS) aufgeschoben. Gleiches gilt für die Demonstration der prowestlichen bürgerlich-liberalen Opposition gegen dieses Vorhaben. Mutmaßlicher Attentäter Juraj C. lobte einst die Wehrsportorganisation „Slovenskí branci“Die führende Oppositionspartei Progressive Slowakei (PS) hat zugleich den Europawahlkampf eingestellt, bei dem sie laut Umfragen führt. Da der mutmaßliche Attentäter, der 71-jährige Lyriker Juraj C., in den vergangenen Jahren ein Sympathisant der PS war, dürfte sich die Führungsriege der mit den deutschen Grünen vergleichbaren Partei in den nächsten Wochen ganz auf die Selbstverteidigung konzentrieren. C. hatte vor seiner Verrentung als Wachmann in einem Supermarkt gearbeitet und war dabei häufig Übergriffen ausgesetzt. Er gründete daraufhin die „Bewegung gegen Gewalt“, die mittlerweile landesweit vernetzt ist, aber nicht als Partei in Erscheinung tritt. In dieser Phase war C. der politischen Rechten zuzuordnen, äußerte sich mehrfach kritisch zur Migrationskrise, schrieb ein Buch mit ungeschminkter Kritik an „Zigeunern und Roma“ und lobte die paramilitärisch-faschistische Wehrsportorganisation „Slovenskí branci“. Dann aber wanderte er ins liberal-prowestliche Lager ab und entdeckte in Robert Fico seinen Feind.Aufschlussreich wird sein, wie sich Ficos rustikal sozialdemokratische Smer-Partei nach dem Anschlag verhält. Zwei wichtige Politiker der regierenden Drei-Parteien-Koalition – Ľuboš Blaha (Smer) und Andrej Danko (Slowakische Nationalpartei) – haben bereits die PS und ihnen nahestehende Zeitungen und Plattformen für das Attentat verantwortlich gemacht. Die Vorwürfe richten sich besonders gegen Denník N (Tageszeitung), SME und aktuality.sk, ein Portal, für das der während des Kabinetts Fico III ermordete Investigativjournalist Ján Kuciak arbeitete. Andere Politiker der Koalition sind sichtlich bemüht, die Stimmung in einer Gesellschaft zu beruhigen, die besonders seit der Corona-Krise zerrüttet wirkt und gespalten ist. Es wäre in dieser Situation nicht weiter verwunderlich, würde die Smer eine Bad-Cop-Good-Cop-Strategie fahren, indem sie den Schockzustand der Opposition ausnutzt, um rasch die Kontrolle über Hörfunk und Fernsehen zu gewinnen, gleichzeitig aber Punkte zu sammeln, weil sie als verantwortungsbewusste Staatspartei das Land vor einem Bürgerkrieg bewahrt. Vielleicht fühlte er sich wie ein Fisch im WasserFico selbst wäre dazu imstande, einen solchen Kurs zu verfolgen. Weil das in der Slowakei durchaus zieht, äußerte er sich zuletzt ziemlich scharf anti-ukrainisch, sagte aber dem ukrainischen Premier Denys Schmyhal jüngst beim bilateralen Gipfel in der ostslowakischen Stadt Michalovce, er solle diese Rhetorik nicht überbewerten, sie sei mehr für das heimische Publikum gedacht, in der Sache könne sich die Ukraine auf ihn verlassen. Und in der Tat hat Fico auf europäischer Ebene noch nie gegen Militärhilfe für Kiew gestimmt.Ein Momentum, das die Opposition beschämt: Fico höchstselbst drehte erst vor wenigen Wochen ein Video, in dem er vorhersagte, dass die gehässige Linie der liberalen Medien zu Gewalt gegen Regierungspolitiker führen könne: „Ich warte nur darauf, wann diese Frustration, die von Denník N, Smečko oder Aktuality.sk so intensiv vertieft wird, in die Ermordung eines der führenden Regierungspolitiker mündet – und ich übertreibe keinen Millimeter.“Leider war nicht zu erkennen, dass er auf Basis dieser Erkenntnis gehandelt hätte – die Security in Handlová, soviel lässt sich schon sagen, versagte auf voller Linie. Möglicherweise fühlte sich der Regierungschef in der Bergbaustadt auch allzu sicher, stammt er doch aus dieser Gegend, in der die Smer einige Hochburgen hat. Vielleicht fühlte er sich wie ein Fisch im Wasser.