Der folgende Text ist nicht nur für sich selbst bemerkenswert – fast noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass er in der „Berliner Zeitung“ erschienen ist. Die war zwar die meiste Zeit auch stramm auf Corona- und Impfkurs. Anders als die meisten anderen großen Medien ließ sie aber gelegentlich auch kritische Zwischentöne zu. Dieser Tradition ist sie treu geblieben. Den Gastbeitrag zur Corona-Aufarbeitung hat Bastian Barucker im Rahmen einer „Open-Source-Initiative“ bei der Zeitung eingereicht. Mit „Open Source“ gibt das Blatt freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden dann veröffentlicht und honoriert – so auch der Text des ausgebildeten Wildnispädagogen Barocker, der an verschiedenen Hochschulen lehrt. Er arbeitet seit vier Jahren aufgrund des Corona-Geschehens als freier Journalist und Publizist. Sein Buch „Auf Spurensuche nach Natürlichkeit“ erschien im Sommer 2022 beim Massel Verlag. Aber nun hier endlich sein Text:

Vom Ethikrat, der sich sowohl für die Diskriminierung Ungeimpfter mittels 2G als auch für die allgemeine Impfpflicht aussprach, über den impfpflichtbefürwortenden Wirtschaftsminister Robert Habeck, den Komiker Christoph Sieber bis zum Mitglied der Partei Die Linke, Gregor Gysi, hört man aktuell den Wunsch nach einer Aufarbeitung der Corona-Zeit. Sogar der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der eine „nebenwirkunsgfreie“ mRNA-Impfung bewarb, spricht von Aufarbeitung und Transparenz. Bei den Mitternachtsspitzen auf 3sat zeigt der Komiker Christoph Sieber sogar die so wichtige und in den Kreisen der Maßnahmenkritiker seit vier Jahren bekannte Statistik der Intensivbettenauslastung(Divi), die aufzeigt, dass zu keinem Zeitpunkt bundesweit eine besondere Auslastung der Intensivstationen vorlag. Die mögliche, durch Corona-Infektionen verursachte, Überlastung des Gesundheitssystems war aber der Grund für die Maßnahmen gewesen.

Dank des fast vollständig maßnahmefreien und nur auf freiwilligen Empfehlungen basierenden schwedischen Weges können wir heute ziemlich sicher sagen, dass das Ausbleiben einer Überlastung der Intensivstation in Deutschland nichts mit den verpflichtenden Maßnahmen zu tun hatte. Auch gab es in Schweden keine außergewöhnliche Auslastung der Intensivstationen, wohl aber regionale Überlastungen, die jedoch seit Jahren in Schweden vorkommen. Im Gegensatz zu Deutschland hat Schweden eine geringere Übersterblichkeit. Der berühmte dänische Medizinforscher Peter Christian Gøtzsche kommentierte den Sonderweg der Skandinavier folgendermaßen: „Es ist kein Wunder, dass die Medien über die Daten schweigen, die zeigen, dass Schwedens Politik einer offenen Gesellschaft das war, was der Rest der Welt auch hätte tun sollen.“  Die nicht-pharmazeutischen Maßnahmen waren, wie manche Menschen bereits seit März 2020 ankündigten, größtenteils medizinisch wirkungslos, aber gesellschaftlich auf vielen Ebenen extrem und vielleicht irreversibel schädlich.

Für den Hinweis auf die Divi-Grafik wurde man während des Corona-Geschehens ein „Schwurbler“ genannt, der von Politik und Medien – darunter einige der oben erwähnten Aufklärungsinteressierten – beleidigt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden durfte. Trotzdem waren von Beginn an Millionen von Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte auf den Straßen. Sie fanden den Mut, fernab des Mainstreams und als „Corona-Leugner“ generalverurteilt, Haltung zu bewahren und auf den Umstand hinzuweisen, dass die Pandemiepolitik unverhältnismäßig, übergriffig und im Kern totalitär war und wenig bis nichts mit Solidarität und dem Schutz von vulnerablen Gruppen zu tun hatte.

Jetzt, wo alles vorbei ist und fast keine Gefahr mehr besteht, stigmatisiert, gekündigt oder auf dem medialen Scheiterhaufen verbrannt zu werden, fordern die lautesten Maßnahmenbefürworter plötzlich eine Aufarbeitung.

Wenn diese Forderung ernst gemeint ist, müsste man umgehend das Gespräch mit all den kritischen Stimmen suchen, die vor kurzem noch als „Schwurbler“ diffamiert wurden. Eine echte Aufarbeitung braucht eine Rehabilitation der Maßnahmenkritiker. Denn, was war deren Anliegen?

Plötzlich fordern die lautesten Maßnahmenbefürworter eine Aufarbeitung

Damals, als noch den Göttern der Virusbekämpfung gehuldigt wurde, ging es ihnen hauptsächlich darum, die Kinder vor kindeswohlgefährdenden und medizinisch sinnlosen Maßnahmen zu schützen.

Damals, als Menschen ohne Maske auf Plakaten der Mittelfinger, ging es darum, alte Menschen vor Isolation, Entwürdigung und dem Tod durch Einsamkeit zu schützen.

Damals, als die Ungeimpften ausgegrenzt, als Tyrannen bezeichnet und zum Sündenbock einer riesengroßen Impfwirksamkeitslüge gemacht wurden, ging es darum, den Einfluss von Pharmaindustrie und Public-Private-Partnerships auf Politik und Medien sichtbar zu machen und zu verhindern.

Damals, als Andersdenkende ausgegrenzt und als „Nazis“ beschimpft wurden, ging es vielen darum, totalitäre Bestrebungen anzuprangern und auf die Unvereinbarkeit der Corona-Maßnahmen mit dem Grundgesetz, also den Abwehrrechten des Individuums gegenüber dem Staat, hinzuweisen.

Damals, als Versammlungen im Freien mit wirkungslosen Masken durchgeführt werden mussten und anfänglich sogar gänzlich verboten waren und als Menschen mit dem Grundgesetz in der Hand das Stehen auf offener Straße verboten wurde, wäre der Augenblick gewesen, aufzustehen oder anderweitig aktiv zu werden!

Alle hatten verständlicherweise Angst

Doch – und das ist das Perfide daran – hatten auch die Maßnahmenbefürworter verständlicherweise Angst, existenzielle Angst. Angst vor dem medial propagierten Tod durch Ersticken. Angst davor, dass Familie und Freunde oder man selbst durch Krankheit Leid erfahren könnte. Angst davor, Teil jener Gruppe von Schmuddelkindern zu sein, die von Medien und Politik als unsolidarische, wissenschaftsfeindliche Minderheit definiert und mittels neuer Verfassungsschutzkriterien mit dem angeblichen Bestreben der „Deligitimierung der Staats“ in Verbindung gebracht wurde. Angst davor, den existenzsichernden Job zu verlieren, weil sie als Miterschaffer des gesellschaftlichen Klimas genau wussten, was auf Dissidenten und Abweichler wartet: die gesellschaftliche Ausgrenzung – der Verlust der Zugehörigkeit.

Auch die Maßnahmenkritiker hatten sicherlich existenzielle Ängste vor einer gespaltenen Gesellschaft, dem Verlust der Freiheit und der Grundrechte sowie Angst vor einem Staat, der mittels Notverordnungen durchregiert und offenbar Gefallen an einer Art von „Hygiene-Herrschaft“ fand.

Angsterzeugung, als eines der ältesten Herrschaftsinstrumente der Zivilisationsgeschichte, hat wieder einmal seine Funktion erfüllt und in der Bevölkerung die in einem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums „gewünschte Schockwirkung erzielt“.

Schade, dass Kritiker und Befürworter der Maßnahmen größtenteils bis heute nie zusammengefunden haben, um sich gegenseitig von ihren Ängsten zu erzählen und herauszufinden, wie sie gemeinsam und gemeinwohlorientiert mit dieser Situation hätten umgehen können! Auch zwei Petitionen mit insgesamt 110.000 Unterschriften, die im Herbst 2020 eine ARD-Sondersendung mit Kritikern und Verfechtern der Maßnahmen forderten, wurden abgelehnt.

Damals haben viele aus nachvollziehbaren Gründen geschwiegen oder mitgemacht. Manche waren sogar Protagonisten der Pandemiepolitik und tragen deshalb eine besondere Mitverantwortung für die Geschehnisse der letzten vier Jahre. Nun wollen sie eine Aufarbeitung – und vergessen, die Menschen zu erwähnen, die von Anfang an auf all die offensichtlichen Missstände der Pandemiepolitik und ihrer (un-)wissenschaftlichen Begründung hingewiesen haben, darunter international hoch angesehene Ärzte und Wissenschaftler von amerikanischen Eliteuniversitäten.

Entschuldigungen und gemeinsame Debatten

Aufarbeitung muss aber die Frage beinhalten, wie es überhaupt dazu kam, dass der gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskurs so sehr vergiftet und eingeengt wurde. Der (menschenverachtende) Umgang mit den Trägerinnen von Minderheitenmeinungen, die Regierung und Regierungsberater kritisierten, war einer der ausschlaggebenden Faktoren, welche die Misere, die nun aufgearbeitet werden soll, überhaupt ermöglichten. Um eine Wiederholung zu verhindern, muss diese Dynamik verstanden und gemeinsam mit den Leidtragenden aufgearbeitet werden.

Daher ist es nun an der Zeit, sich öffentlich bei den Maßnahmenkritikern, den vielen Leidtragenden, insbesondere Kindern und Jugendlichen und den vielen mutigen Fachleuten zu entschuldigen, die ihrer Kompetenz trauten, ihrem Verständnis von evidenzbasierter Wissenschaft treu blieben, als Kritiker der Pandemiepolitik jedoch verbal zu Freiwild erklärt wurden. Es ist an der Zeit, diese Menschen in öffentliche Foren, Symposien und zu runden Tischen einzuladen, um endlich ihre Perspektive in die gesellschaftliche Debatte zu integrieren.

Der Ethikrat, die Partei Die Linke, Karl Lauterbach, Robert Habeck und auch Christoph Sieber, stellvertretend für so viele Institutionen, Politiker, Kunstschaffende und Rundfunkhäuser, könnten nach der Forderung nach Aufklärung Taten folgen lassen und endlich den offenen und respektvollen Austausch von Ideen und Meinungen zu Corona fördern.

Sie könnten auch – und zwar sofort – ihre eigenen coronaspezifischen Aussagen der letzten vier Jahre unter die Lupe nehmen, sie mit den Aussagen der Maßnahmenkritiker abgleichen und ein Fazit ziehen, zu dem wahrscheinlich gehören würde, anzuerkennen, dass vieles, was die Leute auf den Straßen und die stigmatisierten Wissenschaftler zu sagen hatten, fast wortgleich in den stark geschwärzten Covid-19-Krisenstabsprotokollen des Robert-Koch-Instituts zu finden ist.

Die Corona-Aufarbeitung kann inhaltlich und strukturell nicht hauptverantwortlich durch jene Leute gestaltet werden, die fast vier Jahre lang schwiegen oder mitmachten. Sie muss vor allem denjenigen Menschen eine Plattform geben, die sehr früh vor einer unverhältnismäßigen Pandemiepolitik warnten.

Im bestmöglichen Fall ist es irgendwann möglich, dass alle relevanten Stimmen an einem Tisch zusammenkommen, um mit Achtung vor der Meinung des anderen zu diskutieren, also ohne andere dabei persönlich anzugreifen oder abzuwerten. Denn diese Fähigkeit werden wir, egal bei welcher Problemstellung, brauchen, wenn wir freiheitlich und demokratisch miteinander zusammenleben wollen.

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Bastian Barucker, Jahrgang 83, ist ausgebildeter Wildnispädagoge und lehrte auch an verschiedenen Hochschulen. Seit vier Jahren arbeitet er aufgrund des Corona-Geschehens als freier Journalist und Publizist. Sein Buch „Auf Spurensuche nach Natürlichkeit“ erschien im Sommer 2022 beim Massel Verlag.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er erschien zuerst in der Berliner Zeitung.

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Bild: Shutterstock

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Von Veritatis

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