Bloß nicht aufwachen, sonst verpassen wir etwas von diesem surrealen Flug durch Raum und Zeit. „Aus dem Kambrium schliefen wir uns zunächst vorwärts ins Perm. Von dort aus dösten wir traumverloren weiter Richtung Kreidezeit. Den tiefsten Schlaf fanden wir sowieso und überhaupt im Mesozoikum.“ Wie wir dort gelandet sind? Rasant durch Jahrmillionen und zurück binnen zweier Wimpernschläge? Mit einem Buch, das alles andere als gewöhnlich ausfällt, nämlich Maren Kames’ Hasenprosa. Ein Text wie ein Dopsball, schrill, sprunghaft und reich an erzählerischer Energie.

Nie weiß man so genau, wo man gerade steht oder hineinfällt. Die auf den ersten Blick halluzinative Show kann man schnell als unpolitisch, eskapistisch abtun. Doch die Lektüre lohnt, vor allem aufgrund des grotesken Witzes, der den Roman aus der Riege unzähliger Dystopien in der Gegenwartsliteratur heraushebt. Dem Abgrund der Welt ein Schnippchen schlagen, ganz im Sinne vielleicht eines Friedrich Dürrenmatts oder Franz Kafkas. Dazu rüttelt Kames’ Sprache die Wirklichkeit so lange durch, bis alles auf dem Kopf und quer steht: „Mit vollem Mund sprachen wir über die gerade hinter uns liegende Reise. Sie schien aber ganz krumm, wir bekamen kaum etwas davon zusammen, aber auch gar nichts davon auseinander, alle Strangenden und Fährten kragten widerborstig über unseren Köpfen, vollends verbogen“, fasst die Protagonistin ihren Weg zusammen.

Noch häufiger wird sie während ihrer Fantasiereise Überlegungen darüber anstellen, was ihre Identität letztlich definiert. Die Begegnungen, die sie auf ihrer Tour d’horizon macht, liefern, zugegeben, nur begrenzt Antworten. Mal trifft sie auf „säckchenartige Organismen aus dem Mississippium“, mal lässt sie sich von Seegurken in den Schlaf führen. So manches Wesen „poft“ und „ömmelt“ dann auch noch rätselhaft vor sich hin. Schon derartig lautmalerische, aber süffisant-sinnfreie Wortneuschöpfungen zeigen: Wir bewegen uns – zwischen Meer, Gebirgen, Weltall – in Traumgefilden. Nur hier und da schimmert die Wirklichkeit durch, etwa wenn die Protagonistin auf ihre Urahnen sowie Mutter und Vater trifft, sich ihre Kindheit im Schwäbischen vergegenwärtigt, mit Tagespolitik beschäftigt.

Gefühle, Triebe, Sehnsucht

Wie kann eine Reise krumm sein? Solche Bildbrüche signalisieren auf stilistisch imposante Weise zum einen, dass etwas nicht mehr stimmt. Man stolpert schmunzelnd über diese kurvenreichen Sätze, die wie ein einziger großer Ausrutscher auf der Bananenschale anmuten.

Damit dieser Sketch richtig gelingt, braucht es natürlich den passenden und für jeden Unfug zu habenden Kompagnon. Gemäß dem Titel kann man sich hierbei ganz auf einen langohrigen Gesellen verlassen. Stets aufgeweckt, purzelt er mit ihr durch die Vergangenheit. Woher er stammt? Am wahrscheinlichsten aus Alice im Wunderland. Mit der Protagonistin jenes kanonischen Textes hat die Erzählerin der zuletzt mit dem Literaturpreis der Stadt Wiesbaden ausgezeichneten Autorin derweil nicht nur den Hasen gemein, sondern ebenso das Fallen. Lewis Carrolls Heldin stürzt durch den Kaninchenbau ins Reich der Fiktion, die Protagonistin in Hasenprosa nutzt für ihre Landungen einfach einen Flieger. Obwohl er sich lenken lässt, taumelt er symbolisch durch das Unterbewusstsein.

Diesbezüglich hat Maren Kames’ Roman markante Vorläufer. Man denke allen voran an die von Freuds Psychoanalyse inspirierten Surrealisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an Luis Buñuel oder Salvador Dalí. Sie suchten „die Wahrheit“ in verdrängten Gefühlen, Trieben, Sehnsüchten. Fördert man all diesen bizarren Seelenschutt zutage, so entsteht wohl das, was die ausgiebig für ihr Debüt Luna Luna gelobte, 1984 in Überlingen geborene Autorin die „dahinkonstruierte Bescheuertheit“ nennt. Letztere kennt keinerlei Ordnung mehr. Zuvor Festgeglaubtes wird von einer Sprachlawine mitgerissen. Das hat Verve, Spielfreude und vor allem eine wundervolle Vitalität.

Hasenprosa Maren Kames Suhrkamp 2024, 182 S., 25 €



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Von Veritatis

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