Ultras Feminismus in der Kurve: Weibliche Fußball-Fans gibt es mehr, als viele denken – wie verändern Frauen die Stadionkultur und das Spiel, das anfangs gar keine reine Männerangelegenheit war?


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Ausgabe 26/2024

Der 1. FC Union Berlin steigt erstmals in die Bundesliga auf: Berlin-Köpenick, 27. Mai 2019

Der 1. FC Union Berlin steigt erstmals in die Bundesliga auf: Berlin-Köpenick, 27. Mai 2019

Foto: Bastian Wells/Ostkreuz

„Misogyne Gewalt ist keine Privatsache!“ So war es im Herbst auf einem Spruchband der Münchner Ultragruppe Schickeria zu lesen. Da wollten die Bayern gerade Jérôme Boateng verpflichten, der derzeit erneut wegen mutmaßlicher häuslicher Gewalt vor Gericht steht. Sportdirektor Christoph Freund hatte die Idee gerechtfertigt: Da das Verfahren ausgesetzt sei, sei es „seine private Geschichte“. Doch die Fanszene protestierte, andere solidarisierten sich, in Duisburg etwa: „FCB: Boatengs ,private Geschichte‘. WAZ: ,Familiendrama in Duisburg‘. Nein – Gewalt an Frauen hat System. Femizide stoppen!“ Und in Bremen: „Geschlagen, bespuckt, beleidigt: Egal! Mia san Täterschützer!“ Der FC Bayern sah am End

bespuckt, beleidigt: Egal! Mia san Täterschützer!“ Der FC Bayern sah am Ende von einer Verpflichtung Boatengs ab. Der damalige Trainer Thomas Tuchel räumte ein, das sei „nicht nur eine sportliche Entscheidung“ gewesen. Seit geraumer Zeit ist etwas ins Rollen gekommen im Fußball.Rund 38 Prozent aller weltweiten Fußballfans sind weiblich: So will es die Sponsoring-Beratung Sport+Markt 2019 unter 20.000 Befragten in 21 Ländern herausgefunden haben. In Deutschland sind es demnach sogar 46 Prozent. Über die Intensität des Hobbys sagt das nichts aus, jedoch, das zeigen auch andere Studien: Fußballinteresse ist mittlerweile fast paritätisch. Dünner wird es, je männlicher konnotiert die Räume sind. In Stadien liegt der Frauenanteil bei geschätzten 30 Prozent; bei Sportjournalist:innen liegt er laut dem Verband Deutscher Sportjournalisten bei nur zehn Prozent; beide Werte stagnieren. Und unter Ultras wird der Frauenanteil von Fanforscher:innen auf höchstens zehn Prozent geschätzt; je gewaltbereiter die Gruppe, desto geringer der Anteil. Weiterhin weigern sich zahlreiche Ultra-Gruppen, Frauen aufzunehmen. Wie viel also werden Frauen im so toxisch männlich geprägten Fußball verändern? Was haben sie schon verändert?Wer durch die Spruchbänder der vergangenen Männer-Saison scrollt, wird zweifelsfrei an einem weiteren hängenbleiben: „Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur zwei Geschlechter“, titelten Ultras von Bayer Leverkusen im Herbst 2023. Das DFB-Sportgericht verurteilte den Verein dafür zu einer Strafe von 18.000 Euro. Nicht immer ist trennscharf, wie viel dabei ideologische Überzeugung ist und wie viel Battle-Rap-ähnliche Provokation, die die Verletzung von Minderheiten in Kauf nimmt. Wichtig ist jedenfalls: Fanszenen sind sehr heterogen. Es gibt Standorte, wo feministische Bildungsveranstaltungen zum guten Ton gehören – was nicht bedeutet, dass es dort keinen Sexismus gibt – und Standorte, wo Ultras ein Panel zu Frauen und Fußball als „ideologisch“ boykottieren und Frauen das überzeugt mittragen, weil Feminismus den Fußball politisiere.Fußball und Feminismus: wenig SchnittpunkteFußball, das ist für viele Männer (und auch viele Frauen) weiter ein Ort, um antiquierte Männlichkeit auszuleben, eine gelebte „Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen“-Welt. Viele Frauen fühlen sich befreit durch die Möglichkeit, auch mal in Macho-Rollen schlüpfen zu können, zu saufen und zu pöbeln – erst spät gelingt es einigen, den massiven Sexismus der Branche, Übergriffe oder schlicht Widerstände tatsächlich bewusst als solche wahrzunehmen und nicht mit „So ist Fußball halt“ zu rechtfertigen. Mit feministischen Bewegungen haben die Fußballsozialisierten zumeist wenig Schnittpunkte. Fußball ist dadurch ein sehr spezielles Spannungsfeld. Andererseits bekommen kleine Erfolge hier viel Plattform und Vorbildcharakter. Dass der DFB das Leverkusener Plakat als transfeindlich sanktionierte, was die rechten Social Media zum Schäumen brachte, demonstriert einen langsamen Kulturwandel, erkämpft auch aus den Kurven.Wann haben Frauen den Fußball für sich entdeckt? In Deutschland weisen schon Anfang des 20. Jahrhunderts Fotos, Zeitungstexte und Klubchroniken die Anwesenheit von Frauen als Fans nach, auch als Mitreisende zu Auswärtsspielen. „Wann werden Frauen aufhören, sich in Männerangelegenheiten einzumischen?“, zitiert Jennifer Töpperwein in Weibliche Fans im Fußball einen englischen Leserbriefschreiber von 1925. Worauf ihm mehrere empörte Frauen antworteten, sie seien ebenso wahre Fußballfans wie er und würden sich in Männerangelegenheiten einmischen, solange es ihnen passe. Zahlen aber gibt es nicht. Anfangs war es wohl für wohlhabende Frauen sogar einfacher, zuzusehen, Fußball war noch nicht so stark gegendert. Das änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg. Der Fußballhistoriker Hardy Grüne schreibt: „Fußball verdankte seinen immensen Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg nicht zuletzt einer schon vor dem Krieg geknüpften Verbindung mit Nationalismus und Militarismus.“ Angetrieben von Traumata der Soldaten wurde Fußball dank vormoderner Männlichkeit zum Weltsport. Und in diesem neuen Fußball war für Frauen kein Platz, außer als „Spielerfrau“.Lange Zeit nahmen Frauen zwar unsichtbar teil, aber auf die toxische Kultur des Fußballs hatte das keinerlei Einfluss. Das hat sich seit den 2000er-Jahren geändert, und es änderte sich vor allem dank Vernetzung. Zum Beispiel im 2004 gegründeten Netzwerk „F_In für Frauen im Fußball“, in den ersten rein weiblichen Ultra-Gruppen, aber auch dank der Bildungsarbeit der in den 1990ern gegründeten Fanprojekte. Die stärker organisierte Fankultur wurde zur Ursuppe einer ersten deutschen Fan-Frauenbewegung. Gewiss half auch, dass Fußball seit 2006 so massiv Teil der Popkultur wurde. Fanmeilen mit Nationaljubel waren für viele Frauen niedrigschwellig. Klubs entdeckten „die Frau“ als Konsumentin, wenn auch häufig sehr sexistisch unterlegt.Der zweite Schub kam 2018 nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung in einem Fan-Sonderzug. Es war das persönliche #Metoo des deutschen Männerfußballs. Darauf gründete sich aus Fanszenen heraus das Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt, zudem entstanden viele Awareness-Konzepte etwa im Stadion. 2021 folgte mit der Initiative „Fußball kann mehr“ für Frauen in Führungspositionen ein weiterer viel rezipierter Protest. Es gibt endlich, was lange im Fußball unmöglich schien: breiten feministischen Widerstand. Doch Gegenwehr ist nicht gleichbedeutend mit Kulturwandel. 2024 ergab eine SWR-Umfrage unter 2.500 Teilnehmer:innen, dass fast jede vierte Frau sexualisierte Übergriffe im Stadion erlebt hat. 2023 waren unter 150 Führungskräften in der Männer-Bundesliga vier Frauen.Der polnische Soziologe Radosław Kossakowski hat mit Kolleg:innen in Polen untersucht, ob Frauen die Fußballkultur verändern. Der Zeit sagte er 2020: „Noch ist es nicht möglich, dass Frauen die bestehenden Regeln ändern.“ Frauen würden oft sogar helfen, die traditionelle Ordnung aufrechtzuerhalten. Mittelfristig aber ist er sicher: „Die Fankultur wird sich durch Frauen verändern.“ Das müsse sie auch, um nicht bedeutungsloser zu werden. Hinzufügen ließe sich: In Deutschland hat sie sich teils durchaus schon verändert. Doch indessen kommt es auch zum Rollback. Seit dem Erfolg von spaßbasierten Fußball-Influencer-Ligen sind auch im Fußball die Grenzen zwischen Sport und Entertainment noch stärker verwischt. Ein neuer Fußball, der wieder nur organisiert ist von Männern und sich – im Falle des deutschen Copycat-Formats Baller League – weigert, Frauen kicken zu lassen. „Das ist eine Baller League, nicht für Kinder, nicht für Frauen, nicht für Babys, sondern für Herren“, so Organisator Lukas Podolski 2024. Er glaube nicht, dass Frauen die Qualität hätten, mitzuhalten. Anschließend, so der Bericht, habe er dem Reporter vorgeschlagen, die Angelegenheit hinter der Halle zu klären, „wie echte Männer“.Auch das ist deutsche Fußballkultur im Jahr 2024. Eine, gegen die es ohne Stadion, organisierte Fans und akkreditierte Journalist:innen kaum Druckmittel gibt. Zwei Männer protestierten in der Halle mit einem Plakat: „Mehr Frauen – weniger Poldis!“ Die Männer erhielten Hausverbot.



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Von Veri

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