Meinung Es scheint, als gäbe es nur noch die eine Erzählung zu Donald Trump nach dem Attentat: Er sei ein Held. Doch macht die Siegerpose schon den Sieger?
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Trump suggeriert Stärke
Foto: Gene J. Puskar/AP/picture alliance
Sind alle Leben gleich viel wert? Nicht in der Berichterstattung, nicht, wenn Helden wie Donald Trump die Agenda setzen. Es ist bedrückend unanständig, wie über den tatsächlich Getöteten – einen Feuerwehrmann – hinweggegangen wird. Stattdessen faseln alle nur vom „ikonischen Bild“, als wäre der Ex-US-Präsident und Wieder-Kandidat ein visuelles Meisterwerk, durch Einzigartigkeit auf ewig bedeutsam. Und indem sie das Foto mit dem Abgelichteten verwechseln, machen sie beide erst zur Ikone.
Tatsächlich ist Trump genial. Besser als andere hat er verstanden, dass ausschließlich Zuschreibung zählt, und die geschieht heute, anders, als das Wort nahelegt, vor allem übers Bild. Es ist wichtiger als Mensch, Inhalt, Politik.
mp genial. Besser als andere hat er verstanden, dass ausschließlich Zuschreibung zählt, und die geschieht heute, anders, als das Wort nahelegt, vor allem übers Bild. Es ist wichtiger als Mensch, Inhalt, Politik. Bilder sind schnell, zweidimensional, erfordern kein Innehalten, Analysieren, Nachfühlen – Ikonen kennen keinen Schmerz.Viele der Medien sind entzückt von bluttriefendem Ohr und hochgereckter Faust. Wie im Sport macht die Siegerpose schon den Sieger. In Zeiten unsozialer Medien wirkt die Wirklichkeit inszenierter als jeder Plot. Weil das Leben, längst infiziert, nur noch auf Inszenierung hin gewissermaßen produziert wird? Braucht es die Wirklichkeit am Ende gar nicht mehr? Weil die Suggestion von Stärke genügt?Der Angeschossene wird unsterblicher als einst Achill – ohne Schwachstelle, ohne Gnade, ohne Ambivalenz – totale Präsenz. Das ist die Erzählung. Und die Übereifrigen lauschen wie blind, zum Beispiel der Satiriker Sebastian Hotz, der auf X als El Hotzo firmiert und nun quasi den Bürgerkrieg begrüßt: Die Kugel habe Trump „leider nur knapp verpasst“. Er finde „es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben“. Als wäre der vom rbb prompt gefeuerte Radiomoderator durch seine oberflächliche „witzige“ gebrochene Wahrnehmung korrumpiert, liest er offenbar im Bild nur noch das Bild – und nichts mehr dahinter. Als werde da kein Mensch angegriffen, sondern das Plakat eines Feindes. Das Computerspielsyndrom, der Amokläuferwahn: Die Welt existiert nicht mehr, nur noch die eigene Vorstellung von ihr, in der man alle abknallt.Der Getötete bleibt im DunkelnIn manischer Hellsicht hat Kabarettist Florian Schröder die Perversion mittels Perversion entlarvt. Im Video „Schei*e, nur das Ohr?!“ ruft er nicht etwa zur Gewalt auf, spielt aber mit dieser Erwartung, analysiert Trumps Instinkt für Gesten: „Er kommt vom Fernsehen, und er lebt vom Fernsehen, er lebt fürs Bild“. Doch dürfe auch hier die Gewalt nicht dem Opfer angelastet werden. Weil viele nur Überschriften lesen und nur die Verpackung bewerten, bleibt ihnen der Inhalt verborgen – und sie beschimpfen den Verpackungsprovokateur, liefern Stoff für ein weiteres Video mit hämischer Kommentar-Exegese: „Ihr seid hereingefallen.“ Schröder wirkt hektisch, spricht im Stakkato, Schuss für Schuss. Auch er hat nicht mal einen Seitenblick für den tatsächlich Getöteten. „Die ist schon klar, dass da ein Mensch im Publikum gestorben ist?“, will einer der ihn Beschimpfenden wissen. „Ja, das ist mir klar“, schießt Schröder zurück, doch „ging es ja nur um Trump und sein Ohr!“Während die Ikone, gewissermaßen stärker als der Tod, von allen Seiten angestrahlt wird, bleibt der Getötete im Dunkeln. Der Mann, der offenbar seine Familie abschirmte, sein eigenes Leben für deren Rettung gab, interessiert niemanden. Müsste nicht er der Held der Stunde sein? Hat nicht Trump, kontraproduktiv, sogar weitere Schüsse provoziert und Menschen gefährdet, indem er sich gegen die Sicherheitsleute auflehnte? Egal! Nicht nachdenken! Rufen, was alle rufen! Sehen, was alle sehen! Zeigen, was alle zeigen! „Fight, fight, fight!“ Stärkezeigen! Das ist, ähnlich dem Krieg, die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, ja ersetzt mitunter Politik.Nur: Stärkezeigen sichert Respekt. Im Schlachtgeklirr atemloser Nachbereitung wird der Getötete ein zweites Mal niedergestreckt von der Grandiosität dessen, dass er „dem Tode knapp entronnen“. Für den Erschossenen fällt höchstens beiläufige Pflichtschuldigkeit ab. Man fühle mit seiner Familie. Aber das ist gelogen. Niemand fühlt mit „Unbedeutenden“, die einem weder Macht noch Geld vermehren. Trauer um No-Names produziert keine Bilder, demonstriert keine Stärke, nur ein bisschen müden Anstand, der im Krieg um Aufmerksamkeit niemandem nützt.