Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Verbraucherschutz des Landtags von Sachsen-Anhalt berät heute über die Frage, ob die Strafmündigkeit von Kindern von bisher 14 Jahren „fakultativ“ herabgesetzt werden soll. In der Diskussion, die von der AfD-Fraktion angestoßen wurde, steht eine Absenkung der Altersgrenze auf zwölf Jahre. Da es aber um eine „fakultative“ Entscheidung geht, bleibt letztlich alles offen. Das heißt, die Politik will die Möglichkeit einräumen, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein kindlicher Täter als strafmündig gilt oder nicht.

Jährlich drastisch steigende Gewalttaten

Der Landtag debattiert nicht zum ersten Mal über dieses Thema. Diesmal aber soll auch ein Experte zu Wort kommen: der Göttinger Uni-Professor Alexander Baur. Er befasst sich seit Jahren mit Jugendstrafrecht und Strafvollzug. Vergangenes Jahr machte er darauf aufmerksam, dass die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) im Jahr 2023 „einen deutlichen Anstieg der polizeilich registrierten Gewaltkriminalität junger Menschen – etwa von 2022 auf 2023 um 17 Prozent bei Kindern und um gut 14 Prozent bei Jugendlichen“ verzeichnet. Außerdem seien „in den letzten Jahren mehrere schwere und stark medienwirksame Gewalt- und Tötungsdelikte nicht strafmündiger Täterinnen und Täter“ vorgekommen. „Unter diesen Vorzeichen war und ist eine erneute Diskussion um eine mögliche Absenkung der bei 14 Jahren festgesetzten Strafmündigkeitsgrenze (§ 19 StGB, § 1 Abs. 2 JGG) erwartbar“, prognostizierte Prof. Baur.
Die jüngste PKS aus dem Jahr 2024 weist erneut einen starken Anstieg der bereits ohnehin hohen Kinder- und Jugendkriminalität aus. Dort heißt es: „Besonders auffällig ist der Anstieg von Gewaltkriminalität bei tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder stieg um 11,3 Prozent auf 13.755; die der Jugendlichen um 3,8 Prozent auf 31.383.“

Schweiz und Großbritannien keine Vorbilder

Die AfD begründete ihren Debattenantrag im Landtag damit, dass im ersten Halbjahr 2024 in Sachsen-Anhalt mehr als 440 tatverdächtige Ladendiebe jünger als 14 Jahre gewesen seien. Auch die CDU-Landtagsfraktion in Thüringen ist auf das Thema aufgesprungen und forderte bereits am 21. Februar, Kinder ab zwölf Jahren vor Gericht zu stellen.

Verwiesen wird dabei gerne darauf, dass in Großbritannien und in der Schweiz die Strafmündigkeit mit zehn Jahren beginnt. Nur: Auch dort steigt die Kinder- und Jugendkriminalität: Im Jahr 2023 wurden in Großbritannien 9 Prozent mehr Kinder und Teenager verhaftet und 8 Prozent mehr vor Gericht verurteilt als im Jahr zuvor. In der Schweiz waren es 11 Prozent. Diese statistischen Zahlen sprechen nicht dafür, dass die abgesenkte Strafmündigkeit in beiden Ländern ein Erfolg wäre.

Wenn Eltern nur noch Kumpel sind

Solche Statistiken belegen nur immer wieder, dass gerichtliche Maßnahmen nicht zu einer signifikanten Absenkung von Gewaltverbrechen und Kriminalität im Allgemeinen führen. Eine Studie über die Theorie, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung gegen Gewaltverbrechen habe, kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass es keinen Zusammenhang zwischen Mordraten und der Anwendung der Todesstrafe gebe. Vielmehr sei festzustellen, dass Morde in Staaten mit Todesstrafe häufiger begangen werden als in Staaten ohne.

Was also ist die Lösung für Kinder und Teenager? Fragt man Pädagogen, erhält man nie eine eindeutige Antwort. Stets wird gesagt, die Probleme seien „vielschichtig“. Solche Aussagen sind ein Wegducken der Profis und helfen nicht weiter. Denn letztlich lassen sich Probleme von Kindern und Jugendlichen in den häufigsten Fällen auf das Elternhaus zurückführen. Das ist meine Erfahrung als Vater von vier Kindern und als ehemaliger Jugendschöffe in Berlin. Die Eltern-Kind-Beziehung hat sich im Vergleich zu vor vierzig Jahren drastisch verändert. Wenn Kinder ihre Eltern heute beim Vornamen nennen dürfen, statt Mama und Papa zu sagen, dann werden Eltern eher als große Kumpel wahrgenommen und haben keine anerkannte Autorität mehr. Kinder und Jugendliche aber brauchen – im positiven Sinn – Autoritäten.

Der antiautoritäre Erziehungsstil der vergangenen Jahrzehnte ist meiner Erfahrung nach ein Irrweg, der mit dazu beigetragen hat, dass sich Kinder orientierungslos fühlen und dann – vereinfacht ausgedrückt – „auf dumme Gedanken kommen“. „Im antiautoritären Erziehungsstil wird das Kind in Entscheidungen einbezogen und es wird ihm ermöglicht, seine eigenen Meinungen und Gefühle auszudrücken“, heißt es auf einer Pädagogen-Website. Dieser Erziehungsstil ziele darauf ab, „das Selbstbewusstsein und die Selbstständigkeit des Kindes zu fördern und ihm die Fähigkeit zu vermitteln, selbständig zu denken und zu handeln“. So weit die Theorie.

Die Last der Fehler der 68er

Die Praxis sieht seit vielen Jahren so aus, dass die Kinder den Eltern vor lauter „Selbstbewusstsein“ auf der Nase herumtanzen und zu „Tyrannen“ werden. Nach Meinung von Burkhard Voigt, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hessen, „müssen Eltern lernen, sich von ihren Kindern wieder mehr abzugrenzen“. Der Kinderarzt beklagt in der „Frankfurter Rundschau“ aber auch: „Kinder werden heute einfach so ausgeschaltet – durch Handys zum Beispiel“. Es sei falsch, „immer nur zu wollen, dass die Kinder ruhig sind“, sagt Voigt.

Dazu zählt auch das Überschütten mit materiellen Dingen wie teuren Markenartikeln als Statussymbolen. Kindern fehlen oft einfache Aufgaben zu Hause, die sie zu jenen selbständigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten werden lassen, die die antiautoritäre Erziehung im Blick hatte, aber nicht erreicht hat.

Bis zur sogenannten „68er-Studentenbewegung“ war die Erziehung in Schule und Elternhaus geprägt von Disziplin, Gehorsam gegenüber Eltern und Lehrern und dem Respekt vor allen anderen Autoritäten. Wo damals zu viel an Obrigkeitsdenken vermittelt wurde, ist heute ein Zuwenig festzustellen: zu wenig Selbstdisziplin, zu wenig Hören auf Eltern und Erzieher und definitiv zu wenig Respekt gegenüber Gleichaltrigen und Erwachsenen. Diese Entwicklung ist ein Versagen der gesamten Gesellschaft, nicht nur einzelner Eltern oder Schulen.

Warum haften Eltern nicht für ihre Kinder?

Deshalb bedarf es einer grundlegenden Neuausrichtung in der Erziehung und in der Elternbildung. Auch bei jenen Eltern, die aus anderen Ländern zu uns kommen. Auch sie tragen Verantwortung für respektloses Verhalten und von Gewalttaten ihrer Kinder. Warum eigentlich haften Eltern nicht für ihre Kinder? Die in Paragraf 832 BGB formulierte und breit auslegbare Aufsichtspflicht für Eltern ist einer der Gründe dafür, dass sich Eltern so oft unschuldig gebärden können, wenn ihre Kinder kriminell werden oder gar Tötungsdelikte begehen.

Es geht nicht immer nur darum, dass Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht beaufsichtigt werden. Es geht vor allem darum, dass ihnen ein Unrechtsbewusstsein vermittelt werden muss, das im religiösen Bereich als „Gewissen“ bezeichnet wird. Wenn Eltern gewissenlos und egoistisch handeln, ist es wahrscheinlicher, dass ihre Kinder es ihnen gleichtun. Alle Pädagogen wissen: Die Grundlagen für die Entwicklung eines Kindes liegen in der Vorbildfunktion der Eltern, später auch der Lehrer.

Eltern in die Pflicht nehmen, statt Kinder in den Knast bringen

Deshalb muss Schluss sein mit der verwässerten Verantwortung für Eltern. Darüber sollten die Abgeordneten der Landtage in Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutieren. Dann würden sie wahrscheinlich erfolgreich dazu beitragen, die Kriminalitätsstatistik von Kindern und Jugendlichen wieder zu senken. Das Wegsperren jedenfalls hilft nicht.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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Von Veritatis

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