Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Jetzt haben wir den Salat. Ob wir wollen oder nicht.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Kanzlerkandidat im Parlament nicht im ersten Wahlgang die Mehrheit erhalten. Friedrich Merz fehlten sechs Stimmen.
Ganz überraschend kommt das nicht, wenn man die Wahl von Jens Spahn gestern zum Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU zu lesen vermag. 11 Abgeordnete waren nicht da, 17 stimmten in geheimer Wahl mit Nein zum zweitwichtigsten Mann im Berliner Unionsgefüge der Macht.
Und in der SPD sind auch nicht alle begeistert von Friedrich Merz, das ist kein Geheimnis.
Entschieden ist noch nichts.
Die Sitzung des Bundestages ist unterbrochen, die Fraktionen tagen. Der zweite Wahlgang wird vermutlich am Freitag stattfinden.
Was passiert jetzt weiter?
Klingbeil, Merz, Söder – sie alle werden ihren Leuten nun eindringlich klarmachen, was auf dem Spiel steht. Für Ihre Parteien und sie selbst und auch für Deutschland. Sie werden an alle appellieren, beim nächsten Durchgang diszipliniert abzustimmen und diese angeschlagene Regierung doch noch auf den Weg zu bringen.
Gelingt es am Freitag nicht, Friedrich Merz zum Bundeskanzler zu wählen, ist seine politische Karriere vorbei.
Die AfD als größte Oppositionspartei hat ihrer Häme über das Scheitern von Merz schon in einer ersten Stellungnahme Ausdruck verliehen. Sie könnten mit einer Handvoll Stimmen Merz über die Ziellinie helfen. Aber warum sollten sie?
Andersherum wird ein Schuh daraus: Wenn die AfD komplett Merz wählen würde am Freitag und ihm zur Mehrheit verhülfe, könnte er die Wahl nicht annehmen. Dann würde Merz selbst zum Opfer seiner eigenen „Brandmauer“.
Merz und die Seinen könnten jetzt hektisch auf die Grünen zugehen und in Hinterzimmern einen Deal vereinbaren. Das würde eine Mehrheit für Merz geben, die Grünen sind bei Absprachen verlässlich, aber spätestens dann fällt die „Politikwende“ komplett aus. Ein Konjunkturprogramm für die AfD…
Neuwahlen sind seit einer Stunde auch wieder eine Option, aber eine, die keiner will – außer der AfD, die vor Kraft derzeit kaum laufen kann und Frau Wagenknecht, die doch noch mal durchzählen könnte.
Ich möchte nicht in der Haut von Friedrich Merz stecken jetzt, so eine dramatische Demütigung sollte niemand erleben müssen. Aber andererseits: Politik ist kein Ponyhof.
Es ist noch nicht vorbei, durchaus möglich, dass sich am Freitag noch sechs der heutigen Verweigerer entschließen, das Desaster nicht zu vollenden. Oder die Karten werden wirklich ganz neu gemischt – Ende vollkommen offen.
Geheimakte Reitschuster: 1000 Treffer beim Verfassungsschutz – aber keine Erklärung, kein Zugang
Geheim-Urteil gegen die AfD: Der Staat brandmarkt – aber die Begründung dafür verrät er uns nicht
CDU unterschreibt ihr Ende – Koalitionsvertrag macht sie endgültig zu rot-grünem Erfüllungsgehilfen
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für viel gelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf seinem Portal denken-erwuenscht.de erschienen.
Bild: Screenshot Youtube
Mehr von Klaus Kelle auf reitschuster.de

AfD „gesichert rechtsextremistisch“: für ein Verbotsverfahren reicht es niemals
Der Inlandsgeheimdienst stuft die AfD als „gesichert rechtsextrem“ ein. Doch wer meint, so lasse sich ein Viertel der Wählerschaft delegitimieren, gefährdet die Demokratie selbst. Von Klaus Kelle.

Lieber Oskar! Bitte sag Deiner Frau, dass es vorbei ist…
Vom politischen Hoffnungsschimmer zum parteiinternen Chaos: Sahra Wagenknecht verliert nicht nur Stimmen, sondern auch die Kontrolle über ihr eigenes Bündnis. Von Klaus Kelle.

Afghanische Ortskräfte: Soll Deutschland sein Wort brechen?
Tausende abgelehnte Asylbewerber bleiben – während wirklich Schutzbedürftige warten. Der Rechtsstaat kapituliert. Ein Land verliert Maß und Moral. Von Klaus Kelle.

Wie der Staatsfunk die Wirklichkeit verdreht
Friedliche Demonstranten, die für das ungeborene Leben einstehen, werden mit Extremisten gleichgesetzt – während ein entscheidender Teil der Wahrheit elegant weggelassen wird. Von Klaus Kelle.

Es ist viel mehr als „nur Fußball“
Fußball ist für viele Männer ein emotionales Refugium – und wird zunehmend zur Projektionsfläche für politische Umerziehung. Das zerstört genau das, was ihn so bedeutungsvoll macht. Von Klaus Kelle.

Die CDU wird sterben, wenn sie die „Brandmauer“ zur AfD nicht jetzt niederreißt
Die CDU droht sich selbst zu entkernen, während die Basis aufbegehrt. Ein Brandbrief aus Köln fordert, was lange tabu war. Ist das der letzte Weckruf vor dem politischen Bedeutungsverlust? Von Klaus Kelle.

Kalt ausgebootet: Frau Baerbock und die Frauen-Soli
Elf Jahre Einsatz ignoriert: Die erfahrene Diplomatin Helga Schmid muss weichen. Ihre geplante internationale Karriere endet abrupt – für Baerbocks persönliche Zukunft in der Weltpolitik. Von Klaus Kelle.