Ein Schlag der Ukraine gegen Russlands strategische Bomberflotte verändert die Lage vor der heutigen Verhandlungsrunde in Istanbul.
Die Moskauer Reaktion auf den Verlust von Flugzeugen steht noch aus. Der ukrainische Geheimdienst hatte nach eigenen Angaben viele kleine Drohnen nach Russland geschmuggelt und sie dort von Lastwagen aus in der Nähe russischer Militärflugplätze angreifen lassen.
Die Gesprächsrunde in Istanbul ist die zweite seit Mitte Mai. Was ist zu erwarten?
Was ist auf den russischen Luftwaffenstützpunkten passiert?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feierte den Angriff seines Geheimdienstes SBU als „absolut brillanten Erfolg“.
Attackiert wurden demnach Stützpunkte in den 1.900 Kilometer entfernten Regionen Iwanowo, Rjasan und Murmansk im europäischen Teil Russlands sowie dem 5.500 Kilometer entfernten Irkutsk in Sibirien und Amur im Fernen Osten. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte, dass in den Regionen Murmansk und Irkutsk Flugzeuge durch Drohnenangriffe in Brand geraten seien.
Die ferngesteuerten Drohnen waren in Holzkisten auf Lastwagen versteckt, deren Fahrer sie an die Militärgelände heranfuhren. Dort öffneten sich die LKW-Dächer automatisch, und die FPV-Drohnen begannen ihre Attacke.
Nach SBU-Angaben wurden mehr als 40 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge zerstört – etwa 34 Prozent der russischen Bomber, die in der Lage sind, Marschflugkörper abzusetzen. Die Zahlen sind nicht unabhängig überprüfbar. Fotos und Videos zeigten beschädigte und zerstörte Kampfflugzeuge der Typen Tupolew Tu-95 und Tu-22. Mit Raketen, die von solchen Flugzeugen starten, hat Russland die Ukraine beschossen.
Wo stehen Moskau und Kiew vor den Verhandlungen?
Der ukrainische Präsident fordert auf der Grundlage eines US-Vorschlags eine international überwachte bedingungslose 30-tägige Waffenruhe als Einstieg in Friedensverhandlungen. Für die Vereinbarung eines dauerhaften Friedens stellt er sich auch ein Treffen auf höchster Ebene vor.
Moskau lehnte eine bedingungslose Waffenruhe mit dem Argument ab, Kiew könnte eine Feuerpause zum Kräftesammeln im Krieg nutzen. Russland stellt zwei Bedingungen als Mindestvoraussetzung für eine Waffenruhe.
„Für die Dauer der Waffenruhe ist es zumindest erforderlich, dass die westlichen Länder die Waffenlieferungen an das Kiewer Regime einstellen und die Ukraine ihre Mobilmachung beendet“, sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja im UN-Sicherheitsrat am 30. Mai.
Was ist von den Verhandlungen zu erwarten?
Beide Seite wollen über ihre jeweiligen Memoranden für eine Beendigung des Kriegs sprechen. Während Kiew weiteren Sanktionsdruck auf Moskau fordert, ruft Russland dazu auf, die Verhandlungen fortzusetzen.
Einziges wichtiges Ergebnis der Verhandlungen im Mai war der bisher größte Gefangenenaustausch. Denkbar ist, dass die neue Runde eine Vereinbarung eines weiteren Austauschs von Gefangenen bringt.
Möglich sind auch Gespräche über eine neue Feuerpause – wie zu Ostern. Zuletzt gab es auch Bereitschaft zu einem Verzicht auf Angriffe etwa auf Energieanlagen.
Bei den Feuerpausen hatten sich die beiden Seiten gegenseitig viele Verstöße vorgeworfen, aber auch eingeräumt, dass die Zahl der Angriffe zurückgegangen sei. Die Ukraine hob das Ausbleiben von Luftalarm an einzelnen Tagen hervor.
Was fordert Moskau für eine grundsätzliche Konfliktlösung?
Russland fordert den Verzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt und eine weitgehende Abrüstung des Landes. Gleichfalls verlangt es die Anerkennung der Krim, Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als russisches Staatsgebiet. Es verlangt einen Abzug ukrainischer Truppen.
Der russische Staatschef Wladimir Putin kündigte Mitte Mai nach einem Besuch in Kursk an, eine Pufferzone „entlang der Grenze“ schaffen zu wollen. Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete dort und in anderen Regionen der Ukraine zuletzt Geländegewinne.
Die Ukraine wies die Pläne zurück. Sie sieht in den Plänen einen neuen Beweis dafür, dass Russland kein Interesse an Frieden habe.
Will Russland weitere Gebiete?
Russland betont immer wieder, es habe kein Interesse an Boden, weil es selbst groß genug sei. In dem Konflikt gehe es aber um einen Schutz der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine.
Damit droht eine Ausweitung der Gebietsansprüche. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, machte deutlich, dass die Ukraine auch ihre Gebiete Dnipropetrowsk, Sumy, Charkiw, Odessa und Mykolajiw verlieren könne, wenn sie jetzt das Moskauer Friedensangebot ausschlage.
Selenskyj lehnt einen Rückzug ukrainischer Truppen ab und hat Gebietsabtretungen an Russland mehrfach ausgeschlossen. Die Verfassung der Ukraine lasse dies nicht zu, sagte er. (dpa/red)