Nicht nur die Wirtschaftskrise und Sanktionen versetzen die iranische Führung in einen Zustand der regionalen Defensive. Die USA nutzen das aus, um Teherans atomaren Kapazitäten Grenzen zu setzen. Die Zeche zahlen auch die Palästinenser
Zumindest auf die Titelseiten in Irans Hauptstadt Teheran hat es Donald Trump geschafft
Foto: Khamooshi/NYT/Redux/laif
Ausgesprochen scharf hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) moniert, dass Iran mehr und höher angereichertes Uran besitzt als bisher vermutet und selbst deklariert. Über 400 Kilogramm bis 60 Prozent angereichertes Nuklearmaterial sollen es heute sein. Das könnte in ein paar Wochen auf waffenfähige 90 Prozent erhöht werden, und in weniger als einem Jahr wäre Iran dann eine Nuklearmacht. So die IAEA. Teheran hat dies als bewusst in die laufenden Atomverhandlungen gestreute Fake News israelischer Geheimdienste dementiert. Nuklearexperten gehen jedoch unisono davon aus, dass Iran ganz sicher dichter an der Bombe ist als 2015, dem Jahr des Abschlusses des Atomabkommens, um dessen Revitalisierung sich jetzt ausgerechnet jener Donald Trump bemüht,
Atomabkommens, um dessen Revitalisierung sich jetzt ausgerechnet jener Donald Trump bemüht, der es in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident einseitig aufgekündigt hatte. Der 2015 ausgehandelte sog. Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) sah vor, dass die Islamische Republik 300 Kilogramm Uran auf bis zu 3,67 Prozent anreichern und lagern darf. Tatsächlich besaß Iran zu diesem Zeitpunkt etwa ein Drittel dieser Menge. Das wesentlich von Frankreich, Großbritannien und Deutschland ausgehandelte und schlussendlich auch von den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern Russland, China und USA mitgetragene Abkommen erlaubte Iran also durchaus eine quantitative Weiterentwicklung seiner nuklearen Fähigkeiten, um zugleich jedoch die Qualität der Anreicherung auf ein nicht-waffenfähiges Maß zu beschränken und das gesamte Programm strengen Inspektionen zu unterwerfen. Im Gegenzug wurden Sanktionen gelockert, von denen die Islamische Republik von der ersten Stunde ihrer Existenz an betroffen war.Danach ist Teheran immer wieder vorgeworfen worden, die Inspektoren der IAEA an der Nase herumzuführen. Und es wäre mehr als verwunderlich, sollten deren Beschwerden sämtlich haltlos gewesen sein. Israel, für das die Vorstellung, der selbst erklärte Todfeind besäße Kernwaffen, nachvollziehbar ein sicherheitspolitischer Alptraum ist, hat immer wieder auf seine Weise für erzwungene Abrüstung gesorgt. Sei es durch Mordanschläge auf iranische Atomwissenschaftler oder durch Cyberangriffe und Militärschläge gegen iranische Nuklearanlagen. Ein zweiter Vorwurf gegen das Abkommen war primär politischer Natur. Er beklagte, es diene regionaler Machtentfaltung Teherans. Dies verhindern zu wollen, hätte jedes Übereinkunft ganz sicher überfrachtet und verhindert.Der Iran ist dichter an der Bombe als je zuvorFakt bleibt jedoch: Der Iran ist zehn Jahre nach Abschluss und sieben Jahre nach der einseitigen Aufkündigung des Vertrages von 2015 dichter an der Bombe als je zuvor. Dessen Befürworter haben stets argumentiert, dies werde durch das gefundene Agreement verhindert. Die iranischen Fähigkeiten würden bis 2030 auf dem Niveau von 2015 verharren. Gemessen an den entscheidenden Indikatoren – Menge und Grad der Uran-Anreicherung – galt, in dieser Hinsicht ist ein Vertrag besser als kein Vertrag.Ob Trump in seiner zweiten Amtszeit diese Einsicht übermannt hat, sei dahingestellt. Seine Begründung für den Ausstieg 2018 war nicht, dass es ein Abkommen gab, sondern dass dies „ein schlechter Deal“ gewesen sei. Sind nun die überraschend wiederbelebten Atomgespräche ein Versuch, es besser zu machen als die Vorgänger Barack Obama und Joe Biden – auch um den Europäern zu zeigen, wie es richtig geht? Nimmt man Trumps Ego, kann das durchaus sein. Entscheidend sind jedoch andere Faktoren, die sich aus einer neuen strategischen Ausrichtung der US-Nahostpolitik ergeben. Diese zielt unter Trump nicht mehr darauf, US-Hegemonie durch eine kostspielige Power Projektion zu sichern, sondern setzt auf einen die Region stabilisierenden Interessenausgleich zwischen Israel und der arabischen Welt, namentlich mit den Golfmonarchien. Die von den USA vermittelten Abraham-Verträge zwischen Israel und den Arabischen Emiraten, Bahrain sowie Sudan und Marokko bilden dafür eine gut sichtbare Blaupause. Sie honorieren die Aufnahme diplomatischer Beziehung zu Israel mit einer wachsenden multilateralen Kooperation von der Wirtschaft über die Finanzen bis zu Gesundheit und Sicherheit, woran die USA als „Schutzmacht“ aktiv beteiligt sind und wovon US-Firmen profitieren.Die Abraham Accords sind nicht der erste Versuch, den Nahostkonflikt zu beenden, ohne zuvor die palästinensische Frage geklärt zu haben. Genau daran ist bisher jede dauerhafte Friedenslösung im Heiligen Land gescheitert. Kein Wunder also, dass Saudi-Arabien als stärkste Golfmonarchie von dieser Road Map nichts hält, erst recht nicht angesichts des israelischen Krieges in Gaza. Die lauwarmen Reaktionen Washingtons auf die verbrecherische Kriegsführung Israels in Gaza passen wiederum sehr gut zu Trumps Gaza-Plan, der die Umsiedlung der Palästinenser als Prolog für einen Wiederaufbau des Mittelmeer-Küstenstreifens als Terrain unterm Sternenbanner vorsieht. Und selbst wenn es nicht dazu kommen sollte, scheint die zugrunde liegende politische Strategie Trumps ziemlich klar auf: Einen palästinensischen Staat soll und wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Den Preis für eine nahöstliche „Normalisierung“ werden die Palästinenser in Gaza und der Westbank mit Unterwerfung und Umsiedlung zu zahlen haben.Blickt man aus diesem Winkel auf Trumps diplomatische Offensive gegenüber Iran, zu der ihn die Golfstaaten ausdrücklich ermutigt haben, ergibt sich ein durchaus stimmiges Bild. Das Mullah-Regime durchlebt seine größte strategische Krise seit der Islamischen Revolution 1979, die selbst den existenzbedrohenden Ausbruch des Irak-Krieges 1980 in den Schatten stellt. Damals stand die Bevölkerung mehrheitlich hinter der neuen Führung. Heute kann davon keine Rede mehr sein. Teheran hat sich mit seiner regionalen Machtprojektion komplett überhoben. Die Achse des Widerstandes ist zerbrochen, Vasallen und Stellvertreter in Damaskus und Beirut sind gestürzt oder stark geschwächt, die Milizen in Irak unter Druck und die jemenitischen Huthi im Fadenkreuz Washingtons. Die militärische Verteidigungskraft Irans ist durch israelische Luftschläge arg in Mitleidenschaft gezogen, die Moral der regulären Truppen, aber auch der Revolutionsgarden gilt als angeknackst. Die Bevölkerung ächzt unter einer andauernden Wirtschafts- und Energiekrise mit galoppierender Inflation. Der Protest ist unüberhörbar und wird politischer. Trump geht die berühmte Extrameile und legt gleichzeitig die Latte deutlich höher Noch stellt sich die Machtfrage in Teheran nicht. Aber das kann sich ändern, wenn der geistliche Führer, Ali Khamenei, demnächst vor seinen Schöpfer tritt. Dass auf dem weltlichen Vorposten der klerikalen Macht in Teheran seit der letzten Präsidenten-Wahl mit Massud Peseschkian wieder einmal ein Reformer agiert, der sich bemüht, die Wirtschaft anzukurbeln und ideologische Repression im Zaum zu halten, ist für viele Iraner eher Ausdruck der Krise, als Hoffnung auf bessere Zeiten und Reformen.Dem Regime in dieser Situation Atomverhandlungen anzubieten, die es nicht ablehnen kann, ist ebenso schlau wie riskant. Trump geht die berühmte Extrameile und legt gleichzeitig die Latte deutlich höher, indem er den Verzicht auf jegliche Urananreicherung verlangt. Dass Teheran diese rote Linie überschreitet, ist schwer vorstellbar. Auch wenn als Zuckerbrot zur Peitsche die Aufhebung indirekter und direkter Sanktionen sowie die Freigabe der nach 1979 eingefrorenen Auslandsguthaben – immerhin über 100 Milliarden Dollar – winken sollten. Dabei hat ein Hauptargument der iranischen Seite, man brauche die zivile Uran-Anreicherung aus wirtschaftlichen Gründen wenig Gewicht, weil das derzeit einzige AKW in Buschehr den Ausgangsstoff zur Herstellung von Brennelementen aus Russland bezieht. Im Gegenzug für einst geliefertes angereichertes Uran gemäß Atomabkommen. Das Problem ließe sich analog auch für die geplanten 20 weiteren AKW lösen. So die überhaupt je gebaut werden. Tatsächliche ist Urananreicherung für Teheran vor allem eine Frage des nationalen Prestiges, bei dem die militärische Option bewusst offengelassen wird. Das steht in einem bemerkenswerten Spannungsfeld zu religiösen Doktrinen der klerikalen Herrschaftselite in Iran. Für den Gründungsvater der islamischen Revolution, Ayatollah Khomeini, war jede nukleare Technologie „Teufelszeug“. Auch von seinem Nachfolger, Ayatollah Khamenei, gibt es eine Fatwa, ein religiöses Rechtsgutachten, in dem dieser sich Mitte der 90-er Jahre dezidiert gegen ABC-Waffen richtete und diese verdammte. Derselbe Khamenei hat aber auch das 2015 unterzeichnete Atomabkommen als taqiyah beschrieben. Dieser Begriff aus dem islamischen Recht erlaubt oder gebietet das Verbergen und Verleugnen eigener Glaubensvorstellungen und Überzeugungen unter Zwang oder Lebensgefahr, wenn dadurch Leben, Eigentum oder die Gemeinschaft vor Schaden bewahrt werden kann. Eine Art göttlicher Blankoscheck für Verstellung und Lüge. Damit bleiben die Atom-Türen in Teheran auch aus religiöser Sicht in alle Richtungen offen. Natürlich sieht auch der herrschende Klerus den Elefanten im atomaren Verhandlungsraum Dass jetzt ausgerechnet die iranischen Revolutionsgarden Khamenei dazu drängen, seine Fatwa aufzuheben, verrät die Panik im religiösen Lager. Denn natürlich sieht und erkennt auch der herrschende Klerus den Elefanten im atomaren Verhandlungsraum sehr genau: Das warnende Beispiel all jener Staaten und Diktatoren, die freiwillig auf ihr nukleares Potenzial (Ukraine) oder atomare Optionen (Libyen) verzichtet haben. Und die nordkoreanische Erfahrung eines nuklear-politisch grundierten „Freifahrtscheins“ auf der anderen Seite. Dessen eingedenk könnte zu viel Druck auf Teheran das genaue Gegenteil bewirken: Je weniger Überlebens-Optionen das Regime zu haben glaubt, desto hartnäckiger wird man an der atomaren Option als letztem Faustpfand festhalten wollen. Und an dieser fatalen Logik des eigenen Überlebens dann auch festhalten müssen. Um diesem Teufelskreis zu entgehen und weil Trump einen diplomatischen Erfolg braucht, der sich in der Ukraine nicht abzeichnet, ist durchaus vorstellbar, dass die Atomgespräch in eine Art Interimsvereinbarung münden, mit der Iran zeitlich begrenzt auf weitere Urananreicherung verzichtet und auch verschärftere Kontrollen erlaubt, wenn im Gegenzug die militärische Abrüstung vom Tisch ist und es zu nennenswerten Sanktionsaufhebungen kommt, die dem Regime wirtschaftliche Luft verschaffen. Im besten Fall also ein „JCPOA Plus“ mit begrenzter Halbwertzeit im Versuchsmodus, der Zeit kauft und Gesichtswahrung ermöglicht.Der worst case wäre ein militärischer Alleingang Israels in den Washington nolens volens über kurz oder lang hineingezogen würde. Das mag auch Zeit kaufen. Aber mehr auch nicht. Und der Preis wäre enorm hoch. Denn: Militärstrategen bezweifeln, dass eine nachhaltige Abrüstung des iranischen Atomprogramms durch Bomben und Luftschläge möglich ist. Wer auf diese Karte setzt, braucht sehr viel Raketen- und Airpower über einen längeren Zeitraum und wird dennoch nicht alle unterirdischen Nuklearanlagen zerstören können. Derart angeschlagen, könnte Iran immer noch einen Flächenbrand auslösen, der die gesamte Region in Gefahr bringt. Dass es unter solchen Bedingungen zu einem Regimewechsel in Teheran kommt, der einen so ausgelösten Regionalkrieg beendet, ist höchst unwahrscheinlich. Und wer bitte, sollte alternativ bereit und in der Lage sein, mit Bodentruppen in die Islamische Republik einzumarschieren um das Regime zu stürzen. Allein der Gedanke ist bei einem auch nur flüchtigen Blick auf die Landkarte mehr als aberwitzig. Deshalb ist Trumps diplomatische Initiative gerade die beste aller Optionen. Er wäre auch der Einzige, der einen wie auch immer gearteten „Deal“ mit dem Mullah-Regime den Falken im eigenen politischen und im demokratischen Lager als MAGA-Erfolg schmackhaft machen oder abtrotzen könnte. Eine solche Entwicklung wäre nicht zuletzt vor dem Hintergrund der multiplen historischen Belastungen und Traumata im amerikanisch-iranischen Verhältnis bemerkenswert. Dass Washington im Schatten des Kalten Krieges die Shah-Diktatur bis zum blutigen Ende 1979 gestützt und die einzig vielversprechende demokratische Alternative 1953 kaltblütig ans Messer geliefert hat, gehört zum festen Ensemble des historischen Bewusstseins in Iran. Ebenso, dass die USA im mörderischen Krieg, den Irak und Iran von 1980-88 geführt haben, auf der Seite Bagdads standen. Den Titel als „Großer Satan“, unter dem die USA in der staatlichen Propaganda seit 1979 firmieren, hat sich Washington in Teilen und zu Zeiten durchaus nachvollziehbar verdient.Umgekehrt gehören für viele US-Amerikaner die Bilder der 444 Tage andauernden Geiselnahme „revolutionärer Studenten“ in der US-Botschaft von November 1979 bis Januar 1981 zum festen Bestandteil ihres polit-ikonografischen Gedächtnisses. Zusammen mit dem Desaster der missglückten militärischen Befreiung im April 1980 bilden sie ein nachhaltiges Trauma, das seitdem die Iran-Politik jeder Administration beeinflusst hat. Wenn Donald Trump vor diesem Hintergrund und angesichts der genannten Umstände, tatsächlich einen Deal mit Teheran verhandelt bekommt, der zurück auf den Pfad des Atomabkommens von 2015 führt, wird man ihn mit Henry Kissinger vergleichen, der Anfang der 1970er Jahre als republikanischer Außenminister Richard Nixon die Tür für diplomatische Beziehungen der USA mit China geöffnet und damit einen Grundstein für spätere Entspannungspolitik gelegt hat.