Donald Trump hat verstanden, wie sehr die Schwächeren das Gefühl brauchen, zu den Stärkeren zu zählen. Amerikas neuer Präsident profitiert vom Unvermögen der Liberalen, eine stimmige Antwort auf die Krise der modernen Gesellschaft zu geben
Hat erfolgreich so getan, als könne er das Bedürfnis nach einem Gefühl von Sicherheit stillen: Donald Trump
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Absolut sind Diktaturen niemals. Manchmal handelt es sich damit mehr um autoritäre Demokratien, die dadurch gedeihen, dass sie diejenigen kooptieren, die in der Nähe der Macht sind, und diejenigen verwalten, die davon profitieren. Dies korrespondiert oft mit der Gepflogenheit, sich als Politiker Zustimmung zu verschaffen, indem man genügend Leute davon überzeugt, dass die Dinge bald großartig laufen werden.
Autoritäre Demokratien erkennen, wenn sich Wut und Empörung Geltung verschaffen wollen, die sie schüren und für eigene Zwecke zu nutzen verstehen. Der Trick besteht darin, immer einen fernen, aber dennoch sichtbaren Horizont zu haben und unablässig die Merkmale des nationalen Erfolgs zu betonen. Nur so lässt sich den Massen ein Gef
Übersetzung: Carola Torti
ein Gefühl von Macht, Wohlstand und Dynamik vermitteln.Als sich in Ägypten 2013 nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi die Gefängnisse mit politischen Gefangenen füllten, errichtete die Militärregierung große pharaonische Denkmäler und startete ein kolossales Bauprojekt in Kairo, um die Stimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen. In Indien festigte Premier Narendra Modi den Autoritarismus, indem er das Großkapital umwarb, dazu riesige Infrastrukturprojekte ins Leben rief und Hindu-Tempel bauen ließ. Autokraten etablieren sich sowohl als große Modernisierer wie als Stabilisatoren. Sie versprechen Konservatismus und praktizieren Futurismus, betonen Traditionen und Werte, verpacken dies in Technologie, Urbanisierung und eine Ästhetik der klaren Linien – in Wolkenkratzer aus Glas und Stahl.Allerdings bleibt die Zahl der Gewinner einer solchen Modernität relativ begrenzt. Daher muss Populismus den Rest der Arbeit zur politischen Stabilisierung übernehmen. Dies geschieht durch die Schaffung eines bedrohlichen „Anderen“ – etwa Mursis Muslimbruderschaft in Ägypten oder einfach die muslimische Community in Indien – und durch das Versprechen, diesen „Anderen“ aus der Welt zu schaffen. Wenn die Verheißung allein nicht fruchtet, gibt es gesetzlich sanktionierte Verfolgungen und Festnahmen. Regierungen wie in Kairo oder Delhi haben verstanden, was in Abwesenheit von sozialer Gerechtigkeit der Weg nach vorn ist: starke Führungspersönlichkeiten, Lügen und der Kampf gegen diejenigen, die sich womöglich widersetzen.Ein solcher Regierungsstil ist nicht auf Staaten im globalen Süden beschränkt. Als jemand mit einem Fuß in diesen Regionen und einem im Westen kann ich eine durchgehende Linie erkennen. Globalisierung und Freier-Markt-Kapitalismus haben ihr Versprechen gehalten und uns näher zusammengebracht. Häufig wird dabei übersehen, wie diese Prozesse die Menschen einander ähnlich machen, indem sie auf eine ziemlich gleiche Weise weltweit für Gewinner und Verlierer sorgen. Die von der Globalisierung bewirkte Standardisierung der Lebensweise und Geschäftsgebaren hat die Gewinner fester verankert und die Verlierer mehr abgehängt. Diese Tendenz bestimmt die vergangenen 30 Jahre. Wir alle sind von Waren, Dienstleistungen, Apps und digitaler Unterhaltung überflutet, dennoch verspüren wir weiter das Bedürfnis nach etwas Anderem – nach einem Gefühl von Sicherheit, das über eine kurzfristige Konsumfähigkeit hinausgeht.So zu tun, als könne er dieses Bedürfnis stillen, hat Donald Trump den Sieg gebracht. Ihm ist klar, dass ein oligarchisches System, das nur wenige reich macht, den Massen keine ökonomische Sicherheit bringen kann. Wenn man die Mehrheit der Öffentlichkeit auf seiner Seite haben will, muss man daher Wandel versprechen, aber so, dass der die Gesellschaft nicht wirklich neu ordnet.Demokratien sind verletzlichDas Problem dabei ist ein raffgieriges kapitalistisches System, das eine schlechte Gesundheitsfürsorge, eine von den Lobbyisten der Reichen beherrschte Gesetzgebung und eine Deregulierung verantwortet, die zum gigantischen Vermögenstransfer zugunsten einer Klasse von Milliardären führt. Zum Problem werden Migranten ohne Papiere oder Feinde innerhalb der Bürokratie erklärt, die Trump zu Fall bringen wollten. Wer in den USA als Demokratische Partei dieser mächtigen Vision nichts weiter entgegenzusetzen hat als schöne Worte und „Freudentänze“ ohne einen materiellen Vorschlag, das Leben der Menschen radikal zu ändern, der hat für einen Kampf mit Schusswaffen nicht einmal ein Messer mitgebracht, sondern lediglich Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey.Das Modell der sozialliberalen Marktwirtschaft ist festgefahren. Es war klar, dass dies passieren würde, ohne eine aggressivere Regulierung und ein Hohe-Steuern-und-hohe Ausgaben-Sicherheitsnetz, das gebraucht wird, wenn traditionelle soziale Arrangements zerschlagen werden. Im Zuge der Globalisierung wurden ganze Gemeinschaften im Westen deindustrialisiert, während im globalen Süden eine schlecht bezahlte urbane Arbeiterklasse entstand. Nach der Finanzkrise von 2008 wurde eine ganze Generation von dem Leben suspendiert, das deren Eltern hatten. Mit dem Aufstieg der Technologieunternehmen im Silicon Valley vermehrten in den 2010er Jahren Beschäftigte das Prekariat der Handlanger, Fahrradkuriere und Kistenpacker. Das moderne Leben geriet außer Kontrolle.Geprägt von der Erkenntnis, wie wenig die Liberalen in einer neoliberalen Welt zu tun vermögen, können die Progressiven in den USA nur auf den Wert des Gesetzes und der Institutionen verweisen. Solange die politische Mitte aber darauf setzt und das Beste hofft, wird sie damit wenig erreichen und nur zeigen, wie verletzlich westliche Demokratien sind. Ich erinnere mich, wie in den turbulenten Zeiten des Arabischen Frühlings gefragt wurde, ob die Araber „reif für die Demokratie“ seien. Aber Demokratie allein kann nicht Freiheit und Gleichheit garantieren, wenn das ökonomische System, in dem sie existiert, genau das verhindert. Es war einfacher, 2011 den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak zu stürzen, als die Wirtschaftspartnerschaft zwischen hohen Militärs und Unternehmen abzulösen. Die Autoritären haben eine Antwort auf das Problem von Systemen, die zu etabliert sind, um sie abzuschaffen. Sie besteht unter anderem darin, einen Sündenbock zu finden, um die Ängste, Vorurteile und Eitelkeiten der Menschen anzusprechen.Die Liberalen haben keine Antwort darauf, weil sie nicht verstehen können, dass innerhalb solcher Systeme die Vorteile von Rationalität und individueller Freiheit sowie persönlicher Wohlstand nicht mehr für genügend Menschen von Bedeutung sind. Es ist einfacher zu glauben, dass es Rassismus war, der Trump gewählt hat, oder dass Rückständigkeit die ägyptische Revolution erstickt hat. Die Wahrheit ist, dass sich die Menschen überall auf der Welt wie in einer Falle fühlen und ein Gefühl der Erlösung wünschen, das mit dem Versprechen auf eine grundlegend andere Zukunft korrespondiert – selbst wenn dieses Gefühl von einem Autokraten vermittelt wird, der die Ketten des Systems sprengt. Während sie einsamer und schwächer werden, wollen die Menschen das Gefühl, Teil von etwas Größerem und Stärkerem zu sein. Es ist nicht so, dass sie nicht bereit für die Demokratie wären – die Demokratie ist es nicht für sie.Nesrine Malik ist eine im Sudan geborene Journalistin und Guardian-Kolumnistin