Der Ex-General Keith Kellogg wird in der neuen US-Administration überraschend Sonderbeauftragter für die Ukraine und Russland. Hans-Georg Ehrhart erklärt, mit welchen Maßnahmen Kiew und Moskau Verhandlungen schmackhaft gemacht werden sollen


Keith Kellogg, künftiger US-Sonderbeauftragter für die Ukraine und Russland (Archivbild)

Foto: Andrew Harnik/AP/picture alliance


Als Galileo Galilei 1632 von der päpstlichen Inquisition zu lebenslangem Kerker verurteilt wurde, weil er das heliozentrische Weltbild vertrat, soll er beim Verlassen des Gerichts gesagt haben: „Und sie bewegt sich doch“. Dass die Erde sich dreht, entsprach nicht dem damaligen Glaubenssystem. Erst 1992 rehabilitierte ihn die römisch-katholische Kirche. Glaubenssysteme können langlebig sein. Das gilt auch für die Politik.

Das bisherige westliche Glaubenssystem im Ukrainekrieg bröckelt bereits nach drei Jahren. Es besteht darin, unrealistischen Siegesfantasien anzuhängen, die Gefahr einer Eskalation herunter- und die von Moskau ausgehende Bedrohung hochzuspielen. Da die Ukraine nicht nur ihre eigene, sondern auch die Freiheit des Westens verteidige, m

teidige, müsse sie so lange unterstützt werden, bis Russland den Krieg verliert.Das Insistieren auf einer primär militärischen Logik und der eklatante Mangel an diplomatischer Fantasie zur Konfliktbeilegung begründen die Scharfmacher wahlweise mit moralisierenden, manichäischen oder abwertenden Argumenten. Die mit dem Krieg verbundenen Kosten für die Ukraine, für ihre Unterstützer und die Welt bleiben ebenso ausgeblendet wie der eigene Anteil an einer Entwicklung, die in Moskau zur Entscheidung für diesen unstrittig völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte.Mit Donald Trump bekommt nun das Glaubenssystem der Siegespartei Risse. Nicht nur, weil der designierte Präsident im Wahlkampf verkündete, den Krieg binnen 24 Stunden beenden zu können. Vor allem die überraschende Ernennung des ehemaligen Drei-Sterne-Generals Keith Kellogg zum Sonderbeauftragten für die Ukraine und Russland zeugt von einem anderen Weltbild und einer anderen Herangehensweise an den Krieg.Kellogg soll Trumps Ansatz eines Friedens durch Stärke mit Leben erfüllen. Wie, das wird im 2023 erschienenen „Project 2025“, einem 900 Seiten umfassenden Leitfaden der erzkonservativen Heritage Foundation ausgeführt. Ein Kernsatz lautet: China ist die größte Herausforderung und genießt Top-Priorität. Die USA und ihre Alliierten müssten zugleich angesichts der „russischen Gefahr“ drastisch aufrüsten. Während die asiatisch-pazifischen Alliierten gegen China aushelfen, garantieren die NATO den größten Teil der konventionellen Abschreckung gegen Russland und die USA den atomaren Schutz. Das zugrundeliegende Konzept heißt „Deterrence by denial“ (Abschreckung durch Abhaltung) mittels konventioneller und nuklearer Stärke.Die Ukraine erhält Waffen nur noch dann, wenn sie auf Verhandlungen eingehtKelloggs Ansatz für den Ukrainekrieg wurde im Trump-nahen America First Policy Institute vorgelegt. Demnach war der Krieg eine vermeidbare Entwicklung, mitverantwortet durch die inkompetente Politik Joe Bidens. Statt Trumps transaktionalem Ansatz zu folgen, sei Biden einem werteorientierten und internationalistischen Ansatz verfallen, der dem nationalen Interesse der USA zuwiderlaufe. Es wäre im besten amerikanischen Interesse gewesen, Frieden mit Wladimir Putin zu bewahren und ihn nicht mit Demokratie-Kampagnen oder einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft zu provozieren.Ex-General Kellogg: Trump gehe es nicht darum, wer in dem Krieg gewinne oder verliere, sondern darum, das Töten zu beenden. Dafür brauche es starke amerikanische Führung und kühne Diplomatie, die eine Waffenruhe und eine Verhandlungslösung ermögliche. Der „transaktionale Deal“ bestehe darin, dass die Ukraine genügend Waffen erhalte, um ein weiteres Vorrücken der russischen Streitkräfte zu verhindern – vorausgesetzt, sie erklärt sich bereit, an Friedensgesprächen teilzunehmen.Moskau würden Verhandlungen schmackhaft gemacht, indem eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine vorerst nicht anstehe und man die Sanktionen zurückfahre. Ziel sei ein umfassender „peace deal“ mit Sicherheitsgarantien. Der territoriale Anspruch Kiews auf besetzte Gebiete soll aufrechterhalten, sein diplomatischer Vollzug aber in die Zukunft verschoben werden.Ob Trump dieses Konzept umsetzen will und kann, wird sich zeigen. Spielt Putin nicht mit, soll Kiew alle Waffen erhalten, die es wünscht. Weigert sich Kiew, gibt es keine Waffen mehr. So oder so – die Europäer müssen wohl zahlen: Entweder für die Waffen, die Washington Kiew liefert, oder für die Waffen, die Europa andernfalls Kiew liefern müsste – und natürlich für die eigene Aufrüstung.Das Glaubenssystem der Siegesfraktion ist entzaubert, die Welt der Diplomatie dreht sich doch. Ob das jetzt dominante Weltbild einer Politik der Stärke Frieden bringen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin hat Trump ein Konzept, das über die endlose Fortsetzung des Proxykrieges hinausgeht.



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Von Veritatis

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