Schauspielpremiere im Erzgebirge gewährt unterhaltsam und pointiert Einblicke ins multikulturelle deutsche Vereinsleben

Schauspiel.

Eigentlich ist die Mitgliederversammlung des Tennisclubs Lengenfelde Weiß-Schwarz 1927 e.V. bisher ganz normal verlaufen: Der Vorsitzende Dr. Heribert Bräsemann wurde mit 100 Prozent der Stimmen wiedergewählt, man wird weiter „komplett in Weiß“ spielen, und wehe, es kauft einer die Sportkleidung im Internet und nicht bei der örtlichen Textilhändlerin; der Bau des neuen Vereinsheims ist „mit Günter“ aus dem Stadtrat geklärt, den Bauauftrag bekommt der Schwager des Vereinsvorsitzenden. Und nun könnte man eigentlich zum gemütlichen Teil, dem Büffet, übergehen.

Wenn da nicht noch die Anschaffung eines neuen Grills für Vereinsfeste auf der Tagesordnung stünde. Der zweite Vorsitzende Matthias hat sich in das Thema schon mal „reingefuchst“ und schlägt per Power-Point-Präsentation ein gehobenes Mittelklassemodell vor. Auch diese Entscheidung könnte schnell erledigt sein – wenn da nicht Melanie, Mitglied des Gemischten-Doppel-Dream-Teams des Vereins, an ihren Doppel-Partner Erol mit türkischem Migrationshintergrund denken würde, dessen Bratwurst ja nicht auf einem Grill liegen darf, auf dem auch Schweinewürste liegen. Also einen zweiten Grill anschaffen? Erol lehnt dankend ab.

Was nun folgt ist eine knapp anderthalbstündige Tour de Force durch die Niederungen des deutschen Vereinslebens auf hochpointiertem Stammtischniveau, wobei die Funken fliegen. Die komödien- und kabaretterfahrenen Autoren des Stücks, Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, müssen sich darin gut auskennen, denn sie lassen kein Klischee, keine Nuance aus. Und die Schauspielerinnen und Schauspieler des Eduard-von-Winterstein-Theaters lassen sich in der Inszenierung von Cathérine Miville und im bunt-provisorischen Bühnenbild von Martin Scherm genüsslich auf die Wortkaskaden ein.

Vereinsvorsitzender Bräsemann – hervorragend in sich ruhend, als spiele er quasi sich selbst: Udo Prucha – immer auf Ausgleich, Deeskalation und das baldige Abendessen bedacht, schlägt Kompromisse vor: den alten Grill oder einen kleinen Grill vom Dachboden. Kommt nicht in Frage, wegen Krebsrisiko und Diskriminierung mittels Grillgröße, wettert die überambitioniert auf Integration bedachte Melanie – quirlig und hyperengagiert: Anna Bittner. Ihr Mann Torsten, seit ein paar Wochen Vegetarier, religionskritisch, besserwisserisch und ein bisschen zynisch – Vladislav Weis gibt ihn als neunmalkluges Ekel – meint angesichts des Mitgliederschwunds könne man mit einem zweiten Grill vielleicht neue Zielgruppen erreichen: „Türken, Juden“. Wovon es in Lengenfelde aber kaum welche gibt. Für Matthias – Benedict Friederich überzeugend zwischen Wutbürger und traditionsbewusstem Vereinsmeier mit Computeraffinität – sind Grilltradition mit „Mehrheitsbratwurst und Jesus Christus“ feste Größen des Vereinslebens, ohne dass er damit Erol diskriminieren will. Der wiederum, in Deutschland geborener Türke, versteht die Diskussion anfangs gar nicht – zunächst sachlich, später witzig-ironisch, vielseitig: Nenad Zanic – verlangt auch nicht, dass das neue Vereinsheim „nach Mekka ausgerichtet“ sein muss, bietet stattdessen an, seinen eigenen Grill mitzubringen. Der aber ist ein nobleres Modell als das zur Anschaffung vorgesehene – was nun wieder auch nicht geht.

Die Stärke des unterhaltsamen Stückes ist, dass es die Figuren trotz aller Klischees nicht schwarzweiß zeichnet, eher der aufgeregten Diskussion folgt, die Politiker allzu oft geflissentlich ignorieren. Fast im Vorübergehen streifen Melanie, Torsten und Matthias den Konflikt um die Grenzen der Meinungsfreiheit, den Ort der „rechten Ecke“, Möglichkeiten und Grenzen der Integration und Toleranz. Und Torsten verliert alle Toleranz, wenn sich Erol und Melanie nach ihrem Sieg im gemischten Doppel „minutenlang“ umarmen – was sich nach Überprüfung anhand der Videoaufzeichnung als lediglich vier Sekunden lange Umarmung herausstellt. Und Erol, fleißiger türkischer Rechtsanwalt, schimpft auf die „Kanaken und Schmarotzer“, die sich Deutschland ins Land geholt habe – „das ist nicht mehr mein Deutschland“.

Nachdem das Publikum schließlich mehrheitlich für die Anschaffung zweier Grills votiert hat, eskaliert das Geschehen noch einmal, bis es Trude, die das Büffet vorbereitet hat – Carmen Krüger im erzgebirgischen Dialekt – mit einem Witz zwar nicht auflöst, aber doch schon Lust auf die nächste Mitgliederversammlung macht. Gute, brandaktuelle Unterhaltung!

Nächste Vorstellungen: Sonntag, 11. Dezember, 15 Uhr; Sonntag, 18. Dezember, 19.30 Uhr; Samstag, 31. Dezember, 20 Uhr.



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Von Veritatis

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