Der niederländische Schriftsteller feierte seinen 90. Geburtstag und macht sich mit einem sinnlichen Büchlein über den italienischen Bildhauer selbst ein Geschenk.
“Wenn man lange genug lebt”, schreibt Cees Nooteboom, der am Montag seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, “kann man auch mit der Zeit spielen, sich in der Vergangenheit eines anderen einnisten.” Rechtzeitig zu seinem Ehrentag ist ein neues Büchlein von ihm erschienen, in dem er Leben und Werk des italienischen Bildhauers Giuseppe Penone nachspürt. In Deutschland ist der Arte-Povera-Künstler vor allem durch seine Arbeit für die Documenta 13 bekannt. “Penone legt Steine auf Bäume wie große, nicht essbare Früchte”, schreibt Nooteboom an einer Stelle. “Die Bäume umarmen sie, als wollten sie sie wachsen lassen.”
Als der 1947 in Garessio geborene Penone nach dem Kunststudium in Turin zu seinen Wurzeln zurückkehrte, um als Künstler mit Bäumen zu experimentieren, schrieb Cees Nooteboom noch Artikel für “De Volkskrant” über die Studentenunruhen, aus denen später sein Buch “Paris, Mai 1968” wurde. Das Verhältnis beider Männer zur Natur war komplett verschieden. “Heute denke ich”, schreibt Nooteboom, “dass der Mann mit den Bäumen recht hatte, doch das ist ein sinnloser Gedanke”. Nach Abbruch der Schule heuerte Nooteboom 1957 als Leichtmatrose auf einem Frachter an und machte sich in den folgenden Jahren mit Büchern wie “Der verliebte Gefangene” (1958) oder “Rituale” (1980) einen Namen vor allem als Reiseschriftsteller.
Nun sind seine Kreise enger geworden. Die Zeit des Reisens ist vorbei. In exzellenten Gedankenbüchern wie “Briefe an Poseidon” (2012) oder “Venedig. Der Löwe, die Stadt und das Wasser” (2019) und in wundervollen Gedichtbänden wie “Mönchsauge” (2018) spürt Nooteboom seinen Erinnerungen nach. Oft ist das Sommerhaus auf Menorca Ausgangspunkt für diese Reisen im Geiste wie zuletzt 2016 in “533 Tage – Berichte von der Insel”. Auf der Baleareninsel hat er sich im Sommer 2022 auch Penones Werk genähert. Er studierte Bildbände und die Essays von Daniela Lancioni. Und steuerte neben Gedichten auch Texte für den Katalog zu Penones Ausstellung im Museum Voorlinden bei. Aus diesen Fragmenten ist das Buch “In den Bäumen blühen Steine. Die erdachte Welt von Giuseppe Penone” geworden.
Betrachtung und Biografisches gehen ineinander über. Nooteboom erinnert sich, wie er, des Internats verwiesen, für eine Bank arbeitete, mit dem Fahrrad Geld zu alten Damen bringen musste und dabei gern Umwege machte. “Ein Ort, den ich dann jedes Mal aufsuchte, war ein Bach in einem Wald zwischen Hilversum und Baarn … Was tat ich da? Nichts, aber ich nannte es denken. Das muss der Beginn des Schreibens gewesen sein. Ich saß da und dachte nach beim Geräusch des Wassers.” Wie Penone, der in den vom Fluss geschliffenen Steinen Kunstwerke entdeckte, habe er so “vom Wasser denken” gelernt. Bewundernd und voller Neid schaut der Schriftsteller auf Penones Werk. “Es muss eine besondere Erfahrung sein, auch mit den Händen denken zu können.”
Nootebooms Sätze verströmen eine eigene Magie. Nach der Auseinandersetzung mit Penone nimmt er seine Umwelt sensibilisierter wahr. Er lauscht dem Wind in der Palme, die er in seinem Garten auf Menorca gepflanzt hat, und hört nur Rauschen. “Mehr sagt der Baum dazu nicht. Doch nachdem ich Penones Werk über Bäume gelesen habe, weiß ich, dass ich nicht alles verstehe.” Oder er betrachtet die Steine auf seinem Arbeitstisch und fragt sich: “Ob meine Steine miteinander sprechen, weiß ich nicht. Vielleicht sprechen sie auch nicht dieselbe Sprache.” In den Arbeiten seines Künstlerkollegen erkennt er eine “Ode an die Veränderung” und er ordnet sich demütig der Natur unter. Sein bezauberndes Buch ist so ein erfahrungsgesättigtes Alterswerk. Voll von Erkenntnissen eines bewegten Lebens, das am Ende wieder bei seinen Ursprüngen ankommt.