Am Dienstagmorgen wurden durchgestochene RKI-Protokolle veröffentlicht. Ein Auszug aus September 2021 zeigt: Das RKI zeigte sich irritiert über die Einflussnahme des Gesundheitsministeriums und musste seine Fachexpertise schließlich politischen Weisungen anpassen.
von Wim Lukowsky
Jetzt ist es offiziell: Das Robert-Koch-Institut, während der Corona-Pandemie mit der Evaluation von Covid-19 und möglichen Gegenmaßnahmen betraut, wurde in den vergangenen Jahren politisch gesteuert. Das geht aus den neu veröffentlichten Protokollen des RKI-Krisenstabs hervor, die von der freien Journalistin Aya Velázquez am Dienstagmorgen herausgegeben wurden. Ein ehemaliger RKI-Mitarbeiter hatte die brisanten Dokumente durchgestochen.
Dabei handelt es sich nicht nur um die bereits bekannten und mittlerweile größtenteils entschwärzten Papiere, die infolge einer Klage des Onlinemagazins Multipolar zu Beginn des Jahres veröffentlicht wurden und den Zeitraum von Januar 2020 bis April 2021 abdecken. Die neuen Dokumente umfassen Sitzungsprotokolle der Jahre 2020 bis 2023 – ein Novum. Noch dazu sind die Papiere vollends entschwärzt – und bieten erschreckende Einblicke in den Evaluationsprozess des RKI.
Schnell wird deutlich: Das RKI hegte immer wieder Zweifel an den vom Bundesgesundheitsministerium gewünschten Maßnahmen – wurde vom BMG aber aufgrund von Weisungsbindung übergangen. In einem Protokoll vom 10. September 2021 ist festgehalten, „am Donnerstag (ein Tag zuvor, Anm. d. Redaktion) erfolgte vor Veröffentlichung der Aktualisierung des Kontaktnachverfolgungsmanagement-Papiers eine ministerielle Weisung zur Ergänzung“. Weisungen sind in Behörden nichts Ungewöhnliches, die Reaktion der RKI-Krisenstabsmitglieder verrät aber viel über den Eingriff des Gesundheitsministeriums.
„Eine derartige Einflussnahme seitens des BMG in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit von L1 rechtlich geprüft“, wird in dem Protokoll festgehalten.
„Es ist ihnen nicht recht“, kommentierte der pensionierte Professor für öffentliche Finanzen Stefan Homburg diese Reaktion der Krisenstabsmitglieder auf einer Pressekonferenz mit Velázquez am Dienstagmorgen. Bei technischen Dokumenten handelt es sich um fachliche Einschätzungen – nicht um politische Inhalte, erklärt Homburg. Kurzum: Die Politik hat sich in die Wissenschaft eingemischt.
Im RKI-Protokoll ist festgehalten: Die „aktuelle Einschätzung der RKI-Leitung ist, dass die Empfehlungen durch das RKI in der Rolle einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, und einer ministeriellen Weisung zur Ergänzung dieser Empfehlung nachgekommen werden muss, da das BMG die Fachaufsicht über das RKI hat und sich als Institut nicht auf Freiheit der Wissenschaft berufen kann. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt.“
Mit anderen Worten: Die „Freiheit der Wissenschaft“ wurde politisch untergraben, das RKI sollte seine Arbeit in der vom BMG gewünschten Form ausüben, nicht jedoch unabhängige Bewertungen aufstellen, weil es als Institut dem damals von Jens Spahn geleiteten Gesundheitsministerium untergeordnet ist.
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