Die neue Serie mit Tom Schilling in der Hauptrolle führt die Werkzeuge der Achtsamkeits-Industrie ad absurdum.

Chemnitz.

In ihm sieht man noch immer gern den Berliner Endzwanziger Niko, der sein Jurastudium abgebrochen hat und an einem Tag völlig ziellos und unambitioniert durch die Straßen der Hauptstadt irrt und dabei absurd verlaufende Begegnungen hat. Sein Niko ist weiter eine der schönsten Rollen für Tom Schilling, der in „Oh Boy“ im Jahr 2012 brillierte. Es wäre ganz gut zu wissen, was aus jenem Niko geworden ist. Hat er inzwischen sein Jura-Studium wieder aufgenommen und wäre er ein erfolgreicher Anwalt geworden?

Die letzte Chance

Einen solchen spielt Tom Schilling, mittlerweile 42 Jahre alt, ebenfalls in Berlin in „Achtsam Morden“, hierzulande die momentan meistgesehene Serie bei Netflix. Björn Diemel bringt seiner Kanzlei viel Geld ein. Er ist Tag und Nacht für seine Mandanten da, was ihm deshalb noch lange nicht die erhoffte Wertschätzung in der Kanzlei bringt. Denn er betreut vor allem Kriminelle, so auch Mafiaboss Dragan Sergowicz (Sascha Gersak). Diemels Job ist zwar lukrativ, doch für seine kleine Tochter bleibt kaum Zeit, und seine Ehe mit Katharina (Emily Cox) ist fast am Ende. Letzte Chance sind Sitzungen beim prominenten Achtsamkeitscoach Joschka Breitner (Peter Jordan), auf die Katharina besteht. Von Breitner bekommt er eigentlich unverdächtige Ratschläge wie „Atmen Sie!“. „Der Atem ist das zentrale Werkzeug der Achtsamkeit“, begründet der Coach. „Mit ihrem Atmen können Sie sich auf die positiven Dinge fokussieren“. Es gibt weitere „gute“ Ratschläge von Breitner, der von Jordan klasse gespielt wird. „Erst wenn Sie verinnerlicht haben, dass Sie nicht tun müssen, was sie tun sollen, sind sie wirklich frei!“

Peter Jordan als Achtsamkeitscoach in "Achtsam Morden".

Peter Jordan als Achtsamkeitscoach in „Achtsam Morden“. Bild: Stephan Rabold/Netflix

Qualvoller Tod

Das sind natürlich die typischen Floskeln, die von einer ganzen Erbauungsindustrie zum Besten gegeben werden. Doch Anwalt Diemel strickt sich daraus eine ganz eigene Philosophie, die Menschenleben kostet. Um mehr „Quality Time“ mit seiner Tochter zu haben, lässt er Mafiaboss Sergowicz elendig im überhitzten Kofferraum seines Wagens verrecken. Leidtun muss einem der qualvolle Tod des Verbrechers nicht. Denn der war ein echter Psychopath, der einen Rivalen mit Benzin übergoss, anzündete und dann noch mit einem Baseball-Schläger traktierte. Dumm nur, dass den Mord Kinder in einem Schulbus beobachteten und natürlich mit ihren Smartphones aufnahmen. Die Achtsamkeitsstrategie Diemels hat freilich fatale Konsequenzen. Denn er gerät in das Visier eines ganzen Mafiaclans und der Polizei. Polizistin Nicole (Britta Hammelstein), eine ehemalige Studienkollegin von Diemel, ahnt die Abgründe ihres Verdächtigen, kann ihm aber nichts nachweisen.

Die Miniserie „Achtsam Morden“ in der Regie von Max Zähle und Martina Plura ist eine Verfilmung des ersten Bandes der Reihe in Buchform. Karsten Dusse ist Autor der Reihe und Rechtsanwalt. Vor seinem Roman-Debut hat er für Comedy-Formate wie „Ladykracher“ geschrieben. Mittlerweile liegen fünf Bände vor, veröffentlicht zwischen 2019 und 2024. Das erste Buch wurde in 26 Sprachen übersetzt. Allein von der deutschen Ausgabe wurden bislang mehr als anderthalb Millionen Exemplare verkauft. Früher oder später musste die Verfilmung folgen.

Einsam: Tom Schilling musste von zu Hause ausziehen und lebt nun in einem Hotel.

Einsam: Tom Schilling musste von zu Hause ausziehen und lebt nun in einem Hotel. Bild: Stephan Rabold/Netflix

Durchbrechen der Vierten Wand

Die Buchvorlage sieht man der Serie an, denn Schilling, der den Diemel fast eine Spur zu cool gibt, erzählt und kommentiert sein Geschehen und sucht dabei den direkten Zugang zum Zuschauenden. Er durchbricht die „Vierte Wand“, also die imaginäre Grenze zwischen Screen und Zuschauer, die sich direkt angesprochen fühlen dürfen. Zumindest der erste Band hat durchaus auch als Ratgeber für ein etwas entspannteres Leben getaugt, was vom Autor so gedacht war. Jedoch ist die Serie viel zu schwarzhumorig und grotesk angelegt, um die immer wieder eingeblendeten Ratschläge vom Achtsamkeitscoach ernst zu nehmen. Dem unterhaltenden Aspekt tut das keinen Abbruch. Mit 30 Minuten pro Folge des Achtteilers sind tiefergehende Analysen und Charakterstudien eher Mangelware. Doch ist „Achtsam Morden“ eine erfrischende deutsche Produktion, die sich überraschend geschmeidig zwischen Serien wie „Barry“ oder „Breaking Bad“ einreiht. (MQU)

 



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Von Veritatis

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